0678 - Der Zauberschädel
Aber nur Menschen mit unbeugsamen Willen schafften den Weg. Nur Personen, die sich auf nichts einließen, die genau wussten, was sie wollten, die auch innerlich stark waren, denn der Felsen akzeptierte nicht jeden. Wenn jemand nicht reinen Geistes war, den stieß er ab, dem gab er nicht die geringste Chance und schmetterte ihn fort, so dass der Kletterer sein Leben verlor.
Das alles hatte Suko herausgefunden bei seiner weiten Reise durch das Land. Er hatte mit zahlreichen Menschen gesprochen, hatte seine Wege in versteckte Klöster gefunden und neue Erfahrungen machen müssen.
Man schickte ihn von Norden nach Süden, von Osten nach Westen, geheimnisvolle Botschaften im Gedächtnis, bis er den Felsen erreichte, der nur von wenigen bezwungen worden war und von den meisten Menschen nicht einmal gesehen wurde, denn der meiste Teil lag in einem ständigen Nebel, der sich wie ein gewaltiger Bart um das Gestein geschlungen hatte und nur die Spitze freiließ.
Sie schwebte frei. Von dort aus glitt der Blick in den Himmel, da war alles konzentriert, da öffneten sich dem einsamen und mutigen Kletterer die Augen.
Suko hätte noch schlimmere Wege und Strecken in Kauf genommen, damit sein Stab die ihm geraubte Kraft zurückerhielt. Suko wusste nicht einmal, ob er sich noch in dieser Welt befand oder bereits in geheimnisvollen Dimensionen verschollen war. Das alles wollte er auf dem Felsen herausfinden.
Suko suchte mit den Füßen nach kleinen Vorsprüngen, um dort den nötigen Halt zu bekommen. Einige Male schon war er abgerutscht, hatte sich aber immer wieder fangen können und war weitergeklettert. Er führte seit einiger Zeit ein Eigenleben, das andere, sein Beruf, die Stadt London, das lag alles sehr weit zurück.
Das Gestein war an manchen Stellen sehr glatt. Feuchte Pflanzen und Moos bildeten eine dicke Schicht. Sie waren auch in die zahlreichen Spalten eingedrungen, so dass Suko sie nur schwer finden konnte.
Manchmal hing er an der Steilwand, als hätte man ihn dort festgeklebt.
Wieder der Griff, wo seine Finger zu Zangen wurden, danach das Abstemmen mit dem rechten Fuß, mit dem linken wieder Halt suchend, den seine Hände schon gefunden hatten, und das Ziel war näher gerückt. Jetzt brauchte er nur mehr eine Bewegung, um es zu schaffen.
Ein Kinderspiel im Verhältnis zu dem, was hinter ihm lag.
Suko gönnte sich einen Moment Ruhe. Er hatte es sich, angewöhnt, nicht in die Tiefe zu schauen. Diesen Schwur brach er jetzt. Er schaute hinunter, indem er den Kopf nur um eine Winzigkeit drehte, und er sah die weißen, wabernden Dunststellen, die den Felsen umklammerten. Der Blick war mit dem aus einem Flugzeug zu vergleichen, und er verriet nicht, was alles hinter dem Mann lag.
Der Begriff Hölle passte dazu. Es war tatsächlich eine Tortour gewesen, bei der Suko sich nur auf das eine Ziel konzentrieren konnte. Zeiten hatte er längst vergessen, dass er zwei, drei oder sechs Stunden unterwegs war, konnte er nicht sagen. Nichts, aber auch gar nichts hatte ihn ablenken dürfen.
Und jetzt befand er sich fast vor dem Ziel. Sein Gesicht zeigte keinen Triumph, wahrscheinlich war es ihm auch nicht möglich, dieses Gefühl entstehen zu lassen, denn die Anstrengung verzerrte seine Züge. Er hörte sich schnaufend atmen, schaute nach oben und entdeckte das kleine, schmale Dach aus Stein, das wie eine Nase vorsprang und ihm wahrscheinlich den letzten Halt vor dem endgültigen Ziel garantierte.
Weitermachen, hämmerte er sich ein. Nur nicht zu lange ausruhen, du mußt es packen.
Wer diesen Felsen erkletterte, leistete Unmenschliches. Der hatte eine Hölle hinter sich, und eine weitere lag noch vor ihm. Eine unbekannte, denn Suko wusste nicht, was ihn erwartete. Er hatte mit keinen Zeugen reden können.
Der letzte Griff.
Suko holte weit aus, das musste er, wenn er den Rand der vorspringenden Nase erreichen wollte. Für seinen Geschmack sah sie ihm zu dünn aus, sie konnte möglicherweise brechen, und auch sie war von einem dünnen Film aus Pflanzen bedeckt und war rutschig.
Suko wartete noch. Sein Herzschlag sollte sich normalisieren. Die Anstrengung hatte sein Gesicht gezeichnet. Der Schweiß lag als fette Schicht auf der Haut, sein Mund stand offen, jedes Atmen glich einem abgehackten Keuchen.
Weitermachen!
Er gab sich selbst den Befehl und war froh, dass er mit seiner Handkante den vorspringenden Felsrand umklammern konnte. Allerdings rutschte sie auch leicht, da brauchte er sie nur ein wenig zu bewegen, und sie
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