Die Entstehung der Arten Illustriert - Ueber die Entstehung der Arten durch natuerliche Zuchtwahl oder die Erhaltung der beguenstigten Rassen im Kampfe ums Dasein
Jahreszeit so nützlich oder für seine Augen so angenehm sind, so müssen wir doch wohl an mehr denken, als an blosse Veränderlichkeit. Wir können nicht annehmen, dass diese Varietäten auf einmal so vollkommen und so nutzbar entstanden seien, wie wir sie jetzt vor uns sehen, und kennen in der Tat von manchen ihre Geschichte genau genug, um zu wissen, dass dies nicht der Fall gewesen ist. Der Schlüssel liegt in dem accumulativen Wahlvermögen des Menschen: die Natur liefert allmählich mancherlei Abänderungen; der Mensch summirt sie in gewissen ihm nützlichen Richtungen. In diesem Sinne kann man von ihm sagen, er habe sich nützliche Rassen geschaffen.
Die große Wirksamkeit dieses Prinzips der Zuchtwahl ist nicht hypothetisch; denn es ist gewiß, dass einige unserer ausgezeichnetsten Viehzüchter selbst innerhalb eines Menschenalters mehrere Rinder- und Schafrassen in beträchtlichem Umfange modifiziert haben. Um das, was sie geleistet haben, in seinem ganzen Umfange zu würdigen, ist es fast notwendig, einige von den vielen diesem Zwecke gewidmeten Schriften zu lesen und die Tiere selbst zu sehen. Züchter sprechen gewöhnlich von der Organisation eines Tieres, wie von etwas völlig Plastischem, das sie fast ganz nach ihrem Gefallen modeln könnten. Wenn es der Raum gestattete, so könnte ich viele Stellen von den sachkundigsten Gewährsmännern als Belege anführen. Youatt, der wahrscheinlich besser als fast irgend ein Anderer mit den landwirtschaftlichen Werken bekannt und selbst ein sehr guter Beurteiler eines Tieres war, sagt von diesem Prinzip der Zuchtwahl, es sei das, »was den Landwirt befähige, den Charakter seiner Heerde nicht allein zu modifizieren, sondern gänzlich zu ändern. Es ist der Zauberstab, mit dessen Hilfe er jede Form in’s Leben ruft, die ihm gefällt.« Lord Somerville sagt in Bezug auf das, was die Züchter hinsichtlich der Schafrassen geleistet: »Es ist, als hätten sie eine in sich vollkommene Form an die Wand gezeichnet und dann belebt.« In Sachsen ist die Wichtigkeit jenes Prinzips für die Merinozucht so anerkannt, dass die Leute es gewerbsmäßig verfolgen. Die Schafe werden auf einen Tisch gelegt und studiert, wie ein Gemälde von Kennern geprüft wird. Dieses wird je nach Monatsfrist dreimal wiederholt, und die Schafe werden jedesmal gezeichnet und classificirt, so dass nur die allerbesten zuletzt zur Nachzucht genommen werden.
Was Englische Züchter bis jetzt schon geleistet haben, geht aus den ungeheuren Preisen hervor, die man für Tiere bezahlt, die einen guten Stammbaum aufzuweisen haben, und diese hat man jetzt nach allen Weltgegenden ausgeführt. Die Veredlung rührt im Allgemeinen keineswegs davon her, dass man verschiedene Rassen miteinander gekreuzt hat. All’ die besten Züchter sprechen sich streng gegen dieses Verfahren aus, es sei denn zuweilen zwischen einander nahe verwandten Unterrassen, und hat eine solche Kreuzung stattgefunden, so ist die sorgfältigste Auswahl weit notwendiger, als selbst in gewöhnlichen Fällen. Handelte es sich bei der Wahl nur darum, irgend welche sehr auffallende Varietät auszusondern und zur Nachzucht zu verwenden, so wäre das Prinzip so handgreiflich, dass es sich kaum der Mühe lohnte, davon zu sprechen. Aber seine Wichtigkeit besteht in dem großen Erfolge einer durch Generationen fortgesetzten Häufung dem ungeübten Auge ganz unkenntlicher Abänderungen in einer Richtung hin: Abänderungen, die ich z. B. vergebens herauszufinden versucht habe. Nicht ein Mensch unter tausend hat ein hinreichend scharfes Auge und Urteil, um ein ausgezeichneter Züchter zu werden. Ist er mit diesen Eigenschaften versehen, studiert er seinen Gegenstand Jahre lang und widmet ihm seine ganze Lebenszeit mit unbeugsamer Beharrlichkeit, so wird er Erfolg haben und große Verbesserungen bewirken. Mangelt ihm aber eine jener Eigenschaften, so wird er sicher nichts ausrichten. Es haben wohl nur wenige davon eine Vorstellung, was für ein Grad von natürlicher Befähigung und wie viele Jahre Übung dazu gehören, um nur ein geschickter Taubenzüchter zu werden.
Die nämlichen Grundsätze werden beim Gartenbau befolgt, aber die Abänderungen erfolgen hier oft plötzlicher. Doch glaubt Niemand, dass unsere edelsten Gartenerzeugnisse durch eine einfache Abänderung unmittelbar aus der wilden Urform entstanden seien. In einigen Fällen können wir beweisen, dass dies nicht geschehen ist, indem genaue Protokolle darüber geführt worden sind; um aber
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