Die Fährte
gekocht. Als sie zurückkamen, roch es im ganzen Haus nach Rippchen. Olav Hole, Harrys Vater, kam gemeinsam mit Søs in einem Taxi.
Søs war mehr als begeistert über das Haus, das Essen, Oleg, einfach alles. Während des Essens plauderten sie und Rakel wie alte Freundinnen, während der alte Olav und der junge Oleg einander gegenübersaßen und sich mehr oder weniger anschwiegen. Doch sie tauten auf, als die Zeit für die Geschenke gekommen war und Oleg das große Päckchen mit dem Zettel »Von Olav für Oleg« öffnete. Es waren die gesammelten Werke von Jules Verne. Oleg blätterte mit offenem Mund durch die Bücher.
»Der hat die Geschichte von der Mondrakete geschrieben, die Harry dir vorgelesen hat«, sagte Rakel.
»Das sind die Original-Illustrationen«, sagte Harry und deutete auf die Zeichnungen von Kapitän Nemo, der neben der Flagge am Südpol stand und laut las: »Lebt wohl. Mein neues Reich beginnt mit sechs Monaten Dunkelheit.«
»Die Bücher standen immer im Regal von meinem Vater«, sagte Olav, der genauso zufrieden aussah wie Oleg.
»Das macht doch nix!«, gluckste Oleg.
Olav ließ die Dankesumarmung etwas geniert, aber mit einem warmen Lächeln über sich ergehen.
Als sie zu Bett gegangen waren und Rakel eingeschlafen war, stand Harry auf und trat ans Fenster. Er dachte an all die, die es nicht mehr gab. An Mutter, Birgitta, Rakels Vater, Ellen und Anna. Und an die, die da waren. An Øystein, oben in Oppsal, der von Harry zu Weihnachten ein neues Paar Schuhe bekommen hatte, an Raskol im Botsen und an die zwei Frauen in Oppsal, die so nett gewesen waren, Halvorsen zu einem späten Weihnachtsessen einzuladen, weil er Spätschicht hatte und dieses Jahr nicht nach Hause nach Steinkjer fahren konnte.
Etwas war heute Abend geschehen, er wusste nicht genau, was, aber irgendetwas hatte sich verändert. Er blieb lange stehen und betrachtete die Lichter der Stadt, ehe er plötzlich bemerkte, dass es zu schneien aufgehört hatte. Spuren. Wer heute Nacht über den Weg am Akerselva ging, würde Spuren hinterlassen.
»Hast du bekommen, was du dir gewünscht hast?«, flüsterte Rakel, als er wieder ins Bett ging.
»Mir gewünscht?« Er legte die Arme um sie.
»Es sah so aus, als hättest du dir da am Fenster etwas gewünscht. Was war das?«
»Ich habe alles, was ich mir nur wünschen kann«, sagte Harry und küsste sie auf die Stirn.
»Sag es mir«, flüsterte sie und beugte sich vor, um ihn sehen zu können. »Sag mir, was du dir wünschst, Harry.«
»Willst du das wirklich wissen?«
»Ja.« Sie drückte sich noch enger an ihn.
Er schloss die Augen, und ein Film begann sich langsam abzuspulen, so langsam, dass er jedes Bild wie eine Art Standbild betrachten konnte. Spuren im Schnee.
»Frieden«, log er.
Kapitel 51 – Sans Souci
Harry betrachtete das Bild, das weiße, warme Lächeln, die kräftigen Kiefer und die stahlblauen Augen. Tom Waaler. Dann schob er das Bild über den Schreibtisch.
»Lass dir Zeit«, sagte er. »Und sieh es dir genau an.«
Roy Kvinsvik machte einen nervösen Eindruck. Harry lehnte sich auf dem Bürostuhl zurück und sah sich um. Halvorsen hatte einen Weihnachtskalender an die Wand über dem Archivschrank gehängt. Erster Weihnachtstag, Harry hatte fast die ganze Etage für sich. Das war das Beste an den Ferien. Harry zweifelte daran, dass er Kvinsvik so frei und laut reden hören würde wie in dem Moment, als er ihn in der ersten Reihe der Philadelphia-Gemeinde gefunden hatte, aber man soll die Hoffnung ja nie aufgeben.
Kvinsvik räusperte sich und Harry richtete sich auf.
Vor dem Fenster rieselten leichte Schneeflocken auf die menschenleeren Straßen.
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