0083 - Als die Knochenreiter kamen
Bill Fleming, der junge Historiker aus New York, saß auf seinem Feldbett. Das Zelt, das er sich mit Andy Avalone aus Boston teilte, war klein. Man fühlte sich darin etwas beengt, doch das machte den Männern nicht allzuviel aus. Sie befanden sich ohnedies die meiste Zeit draußen im Freien, um den trockenen Boden der Steppe aufzuwühlen und nach alten Kulturgütern aus längst vergangenen Tagen zu suchen.
Andy saß gleichfalls auf Flemings flachem Bett. Es war kurz vor Mitternacht. Die zischende Gasleuchte sandte ein grelles Licht aus.
Sowohl Fleming als auch Avalone hielten ein Glas in der Hand. Beide Gläser waren leer. Bill wies auf die Scotch-Flasche und fragte:
»Noch einen?«
»Nur, wenn du einen mitschluckst. Sonst heißt es nachher, der Avalone kann sich nicht beherrschen«, sagte Andy grinsend, Er war ein hochgewachsener schlanker Bursche mit wasserhellen Augen und schwarzem Haar.
Insgesamt nahmen vier Männer an dieser Ausgrabung teil. Außer Bill und Andy noch Raymond Callery aus New Jersey und Noel Jess aus Washington D. C. Sie schliefen im Zelt nebenan, und das war im Augenblick wörtlich zu nehmen. Sie schliefen wirklich schon seit einer Stunde. Callery schnarchte so laut, als wolle er darin einen Weltrekord aufstellen.
Während Fleming beide Gläser zum letztenmal füllte, sagte Avalone schmunzelnd: »Nun hör dir mal den Säger an. Noel muß über einen gesegneten Schlaf verfügen, wenn er davon nicht wach wird.«
Fleming hob die Schultern. »Noel ist rechtschaffen müde. Er schwingt die Spitzhacke am eifrigsten von uns allen.«
»Er ist auch der kräftigste von uns allen.«
Die Freunde tranken. Sie konnten mit dem bisherigen Ergebnis der Ausgrabungen zufrieden sein. Callery hatte mehrere Topfscherben gefunden, die die Annahme bestätigten, daß Persien bereits vor sechstausend Jahren besiedelt gewesen war. Auch Jess entdeckte Spuren von indogermanischen Einwanderern, die auf das zweite Jahrtausend vor Christus zurückgingen.
»Wann schlagen wir das dritte Zelt auf?« fragte Andy Avalone, während er sein Glas hochhielt und durch den Scotch den Glühstrumpf der Gaslampe betrachtete.
»Morgen«, meinte Bill.
Avalone grinste. »Sag mal, hat dieser Professor Zamorra eigentlich was mit seiner hübschen Sekretärin?«
»Wieso fragst du mich das?«
»Immerhin bist du der beste Freund der beiden. Außerdem kam der Vorschlag von dir, die beiden in einem Zelt unterzubringen.«
Bill nickte ärgerlich. »Woraus du natürlich schon wieder schmutzige Schlüsse ziehen mußt.«
»Man wird sich doch noch was denken dürfen, oder?«
»Schon gut. Trink aus. Es wird langsam Zeit, daß auch wir uns aufs Ohr legen.«
Andy krauste die Nase. »Ich kann ohnedies schlecht schlafen.«
»Deshalb muß ich dir immer bis spät in die Nacht hinein Gesellschaft leisten, wie?«
»Wenn du’s nicht gern tust…«
»Quatsch. Aber Mitternacht sollte reichen.«
»Okay, okay«, brummte Avalone. Er schaute auf seinen Chronometer und feixte. »Es fehlen aber noch fünf Minuten bis zum Limit. Zeit für eine Zigarette…«
»Die rauchst du aber draußen, verstanden?«
»Natürlich«, sagte Avalone friedfertig. Er erhob sich, leerte sein Glas, stellte es auf die kleine Kiste, die für die beiden Männer als Nachttisch diente. »Kommst du noch auf einen Sprung mit nach draußen?«
Bill seufzte. »Na schön. Wenn du so großen Wert darauf legst.«
Vor dem Zelt breitete Avalone die Arme aus. Er atmete die Luft ein und blies seinen Brustkorb auf. »Das ist das Herrliche an unserem Beruf. Eine Arbeit weitab vom Gestank der Zivilisation, wo Hast und Hektik nur noch kleine Wörter sind, vor denen sich keiner zu fürchten braucht.«
Andy brannte sich ein Stäbchen an und blies den Rauch in Richtung Mond. »Sieh dich um, Bill. Ist dieses Land nicht wunderschön? Fast könnte man meinen, es gebe all die schrecklichen Dinge nicht, die die Wissenschaftler geschaffen haben. Dort drüben liegt Rußland… Neulich habe ich gelesen, daß die Russen bereits im Besitz einer Superbombe sind. Ein Knopfdruck würde genügen, und dieses stille Paradies hier würde in Trümmer gehen. Die ganze Welt würde von dieser Explosion in Stücke gerissen. Stell dir das mal vor, Bill.«
Fleming nickte schweigend. Andy hatte recht. Die Menschheit krabbelte immer näher an das Pulverfaß heran. Irgendwann würde ein Verrückter aufstehen und die Lunte anstecken. Dann war der große Knall nicht mehr aufzuhalten. Und was würde danach
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