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Die Fährte

Die Fährte

Titel: Die Fährte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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zurückgeworfen wurde. Trond starrte ihn an. Ein zackiger Rand ragte um das runde Loch in der Lederjacke des Polizisten empor und eine weiße Flocke Wollfutter wirbelte mit dem Wind davon. Es tropfte. Schwere, rote Tropfen trafen mit dem dumpfen Klacken einer Uhr auf den Boden und versickerten in der Mischung aus Kies und welkem Gras. »Zweiundzwanzig.«
    Die Tropfen wurden immer größer und fielen schneller und schneller, es klang wie ein rascher und rascher werdendes Metronom. Harry hob die Pistole, legte den Lauf auf eine der Netzmaschen des Zauns und zielte: »So sieht mein Blut aus, Trond«, sagte er so leise, dass es kaum zu hören war. »Sollen wir uns mal deines anschauen?«
    Im gleichen Moment erreichten die Wolken die Sonne.
    »Dreiundzwanzig.«
     
    Ein dunkler Schatten näherte sich von Westen her. Er fiel zuerst über die Felder, dann über die Reihenhäuser, die Blocks, die rote Asche und die drei Menschen. Auch die Temperatur fiel. Plötzlich, als ob derjenige, der sich vor das Licht gestellt hatte, nicht nur die Wärme abschirmte, sondern selber auch Kälte ausströmte. Aber Trond spürte das nicht. Alles, was er sah und spürte, war der kurze, rasche Atem der Polizistin, ihr ausdrucksloses, blasses Gesicht und die Mündung der Pistole des Polizisten, die ihn wie ein schwarzes Auge anstarrte, das endlich den Gesuchten gefunden hatte und ihn bereits durchbohrte, sezierte und aufbrach. Ein ferner Donner rollte. Aber alles, was er hörte, war das Tropfen des Blutes. Der Polizist war offen und sein Inhalt rann heraus. Das Blut, der Schmerz, das Leben klatschte schmatzend ins Gras, als ob es nicht verzehrt würde, sondern selber verzehrte, sich durch den Boden brannte. Und Trond wusste, dass er, auch wenn er die Augen schließen und sich die Hände auf die Ohren pressen würde, immer noch sein eigenes Blut rauschen hören würde, wie es sang und sich gegen die Adern presste, als wolle es hinaus.
    Er spürte die Übelkeit wie eine Art sanfte Wehe, einen Fötus, der durch den Mund geboren werden sollte. Er schluckte, doch das Wasser rann frisch aus allen Drüsen, schmierte sein Inneres und machte ihn bereit. Die Felder, die Blocks und der Tennisplatz setzten sich langsam in Bewegung. Er krümmte sich, versuchte, sich hinter der Polizistin zu verbergen, doch sie wurde zu klein, zu durchsichtig, nur eine hauchdünne Gardine aus Leben, die im Wind wehte. Er klammerte sich am Gewehr fest, als halte die Waffe ihn und nicht umgekehrt, presste den Finger gegen den Abzug, wartete aber. Musste warten. Auf was? Auf dass die Furcht den Boden verlor? Darauf, dass die Dinge wieder ins Lot kamen? Aber sie würden nicht ins Lot kommen, sie würden nur herumwirbeln und nicht eher zur Ruhe kommen, als bis sie am Boden zerschellten. Alles befand sich im freien Fall seit der Sekunde, in der Stine ihm offenbart hatte, dass sie ihn verlassen würde, und das Rauschen des Blutes in seinen Ohren hatte ihn die ganze Zeit über daran erinnert, dass das Tempo zunahm. Jeden Morgen beim Aufwachen hatte er gedacht, dass er sich jetzt an das Fallen gewöhnt hätte, dass er die Furcht abgeschüttelt hätte, die Würfel waren ja gefallen, der Schmerz bereits durchlebt. Doch dem war nicht so. Und dann hatte er sich danach gesehnt, den Boden zu erreichen, den Tag, an dem ihm wenigstens die Angst genommen würde. Und jetzt, da er endlich den Boden unter sich sah, hatte er nur noch mehr Angst. Die Landschaft auf der anderen Seite des Netzes rauschte ihm entgegen.
     
    »Vierundzwanzig.«
    Gleich würde Beate am Ziel ankommen. Sie hatte die Sonne in den Augen, sie stand in einer Bankfiliale in Ryen, und das Licht von draußen blendete sie und ließ alles weiß und hart werden. Vater stand neben ihr, still wie immer. Mutter rief irgendwo, aber sie war weit weg, das war sie immer gewesen. Beate zählte die Bilder, die Sommer, die Küsse und die Niederlagen. Es war viel, und es erstaunte sie, wie viel es war. Sie erinnerte sich an Gesichter, Paris, Prag, ein Lächeln unter einem schwarzen Pony, eine unbeholfen formulierte Liebeserklärung, ein atemloses, ängstliches: Tu ich dir weh? Und an ein Restaurant in San Sebastian, das sie sich nicht leisten konnte, in dem sie aber dennoch einen Tisch reserviert hatte. Vielleicht sollte sie trotzdem dankbar sein. Trotz allem?
    Sie war aus diesen Gedanken erwacht, als ihr die Gewehrmündung gegen die Stirn gestoßen wurde. Die Bilder verschwanden und es blieb bloß ein weißer, knisternder Schneesturm auf

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