Die Farben der Sehnsucht
war.
„Colette, es gibt keinen Grund, gleich das Schlimmste anzunehmen.“ Susannah drückte sie tröstend an sich. „Sollen Chrissie oder ich dich hinfahren?“
Sie schüttelte den Kopf. „Nein, das schaffe ich schon.“ Sie war verblüffend ruhig – doch das war sie nach Dereks Unfall auch gewesen. Die erste Panik war verebbt und an ihre Stelle war ein dumpfes Gefühl getreten, eine furchtbare Gewissheit. „Ich will dich nicht im Stich lassen“, sagte sie zu Susannah.
„Geh schon, mach dir keine Sorgen. Chrissie wird in einer Stunde hier sein. Und in der Zwischenzeit komme ich schon zurecht.“
Ohne jede Eile wusch Colette sich die Hände, holte ihre Handtasche und ging dann durch den Hintereingang zu ihrem Auto. Die Benommenheit begann zu schwinden, und stattdessen spürte sie eine Enge, eine Beklemmung, etwas, das ihr den Brustkorb zusammenzuschnüren schien. Wenn sie älter gewesen wäre, hätte sie befürchten müssen, dass das die ersten Anzeichen einer Herzattacke waren. Doch sie wusste, dass es etwas anderes war. So fühlte es sich an, wenn man einen geliebten Menschen verlor.
Diese Empfindung hatte sie auch bei den Worten des Arztes in der Notaufnahme gespürt, der ihr erklärt hatte, dass sie nichts mehr für ihren Mann tun konnten. Er hatte ihr erklärt, dass Derek nie mehr aus dem Koma erwachen würde – und nichts hatte daran etwas ändern können.
Selbst im dichtesten Nachmittagsverkehr verlor Colette nicht die Beherrschung. Denn es war egal, ob sie in zehn oder in vierzig Minuten bei Elizabeth ankäme – das würde nichts an der Tatsache ändern, dass Christian tot war.
Als sie das hübsche Haus der alten Dame erreichte, parkte sie sorgfältig ihren Wagen ein.
Plötzlich waren der Schmerz und die Trauer stärker, als sie ertragen konnte. Sie lehnte ihren Kopf gegen das Lenkrad und flehte stumm um Kraft.
Denn sie liebte Christian.
Wenn sie bisher daran gezweifelt hatte, war es ihr jetzt klar.
Doch er würde es niemals erfahren.
Niemals die Wahrheit kennen.
Und niemals ihr Kind in den Armen halten.
Sie musste es akzeptieren, wie sie schon so vieles in den vergangenen zwei Jahren hatte akzeptieren müssen.
Colette atmete tief durch und stieg aus dem Auto. Sie hatte gerade erst geklingelt, als Doris, deren Augen rot geweint waren, die schwere Eingangstür aufriss und Colette in die Bibliothek führte.
„Ich bin so froh, dass Sie hier sind“, sagte Doris und knetete ein weißes Taschentuch in ihren Händen. „Miss Elizabeth braucht Sie.“
Colette betrat die Bibliothek und setzte sich zu Füßen Elizabeths auf die Ottomane. „Können Sie mir sagen, was geschehen ist?“, fragte sie sanft.
Elizabeth schüttelte den Kopf.„Keiner weiß das. Christian wird vermisst. Er ist irgendwo in China verschollen. Niemand hat ihn gesehen.“ Sie schluckte schwer. „Seit einer Woche hat niemand mehr von ihm gehört. Seit einer ganzen Woche! “
„Er ist doch in Seattle losgeflogen, oder?“
Elizabeth nickte. „Laut Aussage der Fluggesellschaft ist Christian auch in Peking gelandet. Aber dort endet seine Spur dann. Soweit seine Mitarbeiter im Büro wissen, sollte er in Peking einen Anschlussflug nehmen, doch er ist nie an seinem Ziel angekommen. Ich habe den Namen der Stadt vergessen“, fügte sie verdrießlich hinzu.
„Wie haben Sie davon erfahren?“, fragte Colette.
„Mein Neffe Elliott rief an, Christians Vater. Jemand von Dempsey Import s hat ihn verständigt. Gleich anschließend hat er sich bei mir gemeldet.“
„Was hat man bisher unternommen, um ihn zu finden?“, fragte Colette und ließ sich unterschiedliche Szenarien durch den Kopf gehen. Sicherlich gab es Wege, einen Men schen in einem fremden Land aufzuspüren.
„Elliott hat gefragt, ob jemand die amerikanische Botschaft kontaktiert hat, und offensichtlich ist das bereits geschehen. Sämtliche Hospitäler, Gefängnisse und Hotels sind überprüft worden, auch sonstige Orte, an denen er sich aufhalten könnte. Nichts.“
„Wissen Sie den Namen der Person bei Dempsey Imports , mit der Ihr Neffe gesprochen hat?“ Colette missfiel die Vorstellung, einen armen Angestellten mit Fragen zu durchlöchern. Aber sie brauchte so viele Informationen, wie sie nur bekommen konnte.
„Ich … weiß es nicht.“
„Darf ich Ihr Telefon benutzen?“
„Natürlich. Alles. Ich will nur wissen, ob Christian am Leben ist.“
Es waren mehr als fünf Monate vergangen, seit Colette zum letzten Mal mit einem Mitarbeiter von Dempsey
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