Die Farben der Sehnsucht
um ihm zu vergeben. Ich möchte nicht wie eine Heilige klingen, die diesem Mann seine Schuld großmütig verzeihen kann. Zumal ich ihm weit weniger zu vergeben hatte als meine Schwester. Julia war meine Nichte, nicht meine Tochter. Dieser Mann hatte Margaret und Matt das Leben zur Hölle gemacht, als er Julia überfiel.
Gegen Abend kam Margaret zu mir. Ich war in mein Büro zurückgekehrt, um einige Bestellungen vorzubereiten. „Kannst du mich nach der Arbeit begleiten?“, fragte sie.
Ich nahm an, dass sie mit mir zusammen Mom besuchen wollte. „Sicher.“
Margaret nickte und schenkte mir ein Lächeln, das keines war. „Danke.“
Beinahe hätte ich gefragt: „Wofür?“ Margaret bedankte sich bei mir? Da s kam selten vor. „Du willst doch, dass wir Mom besuchen, oder?“, stieß ich hervor und war mit einem Mal unsicher.
Margaret schüttelte den Kopf. „Nein. Eigentlich wollte ich wissen, ob du mit mir zum Krankenhaus kommst.“
Manchmal bin ich ein bisschen schwer von Begriff. Aber in dem Moment wusste ich wirklich nicht, wen wir kannten, der im Krankenhaus lag. Meine Verwirrung war wohl offensichtlich, denn Margaret kam zum Schreibtisch, nahm die gefaltete Zeitung hoch und wedelte damit vor meiner Nase herum.
„Du willst Danny Chesterfiel d besuchen?“, fragte ich und war so erstaunt, dass ich die Worte kaum rausbrachte.
„Du wirst doch deine Meinung nicht ändern?“
Meine spontane Reaktion war, genau das zu tun. Ich hatte nicht das Bedürfnis, Danny Chesterfield zu sehen. Vermut lich hatte auch er nicht unbedingt Lust, uns zu treffen.
„Wozu soll das gut sein?“, fragte ich.
„Kommst du nun mit oder nicht?“, wollte sie wissen. „Ein einfaches Ja oder Nein genügt mir schon.“
„Äh …“
„Fein, wie du willst“, fauchte sie und stürmte aus dem Büro, als könnte sie nicht schnell genug von mir wegkommen.
Ich nahm mir ein paar Minuten Zeit, um nachzudenken, bevor ich ihr folgte. „Ich komme mit“, sagte ich und bemühte mich, so neutral wie möglich zu klingen.
„Du musst mir keinen Gefallen tun.“
„Das tue ich nicht“, erwiderte ich, obwohl es sich genau so anfühlte.
Während Margaret sich um einen Kunden kümmerte, rief ich Brad auf dem Handy an. Ich erklärte ihm, dass ich etwas später als sonst nach Hause kommen würde und warum.
„Ihr wollt was?“ , brachte er dann hervor, als ich ihm von Margarets Bitte erzählt hatte. „Glaubst du, dass das eine gute Idee ist?“
„Welche? Dass Margaret Danny Chesterfield besucht, oder dass ich sie begleite?“
„Beides!“
„Ich weiß es nicht“, erwiderte ich ehrlich.
Für einen Moment glaubte ich, dass Brad mich von meinem Vorhaben abbringen wollte. Doch er tat es nicht. Ich war ihm dankbar dafür, denn ich wusste nicht, was ich sonst getan hätte.
Nachdem Margaret und ich den Laden geschlossen und Feierabend gemacht hatten, entschieden wir uns, meinen Wagen stehen zu lassen. Margaret konnte uns fahren, da es wenig sinnvoll war, zwei Autos zu nehmen – besonders im Feierabendverkehr.
Zuerst gingen wir zum Informationsschalter im Harbor view Hospital , in das Danny Chesterfield – laut Zeitungsbericht – eingeliefert worden war . Die Angestellte hinter dem Tresen schaute im Computer nach . „Daniel Chesterfield ist vor zwei Tagen mit dem Krankenwagen eingeliefert und heute Morgen an die örtlichen Behörden übergeben worden.“
Margaret nickte.
Ich hatte keine Ahnung, was das bedeutete. „Mit anderen Worten: Er ist jetzt im Gefängnis?“ Offensichtlich waren seine Verletzungen nicht schwer genug, um ihn länger im Krankenhaus zu behalten.
„Er ist in der King County Medical Facility , also in der medizinischen Einrichtung des Gefängnisses“, sagte die Frau.
„Oh …“
„Danke“, entgegnete Margaret, und gemeinsam verließen wir das Krankenhaus.
„Gut – so viel dazu“, sagte ich und war dankbar, dass sich die Situation so entwickelt hatte. Ich verstand sowieso nicht, warum Margaret diesen Kriminellen besuchen wollte.
„Wir fahren zum King County Gefängnis“ , verkündete Margaret, als wir wieder im Wagen saßen.
Ich hatte gehofft, sie hätte die Idee wieder fallen lassen. Doch ich hätte es besser wissen müssen. „Sie werden uns nicht zu ihm lassen“, sagte ich. „Warum tun wir das überhaupt?“
Meine Schwester ignorierte mich. Sie hatte eine Mission – und es war nicht vorgesehen, mich über die Beweggründe zu informieren. Und Kleinigkeiten wie Gitterstäbe oder bewaffnete
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