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Die Fastnachtsbeichte

Die Fastnachtsbeichte

Titel: Die Fastnachtsbeichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Zuckmayer
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sich schwerfüßig in Richtung zum
Gesinde-Eingang.
     
     
    A uf dem Flügel stand der Klavierauszug
des ›Rosenkavalier‹, der damals zum erstenmal im Stadttheater gespielt wurde
und die Geschwister Panezza bis zur Berauschung entzückte. Daß viele der
Älteren die Musik wegen ihrer kühnen Harmonien als ›hypermodern‹ verschrien und
das Buch dekadent oder anrüchig fanden, steigerte die Begeisterung der beiden
ins Maßlose, und sie redeten sich seit Wochen nur noch mit Namen aus dem Stück
an oder nannten auch in respektlosen Augenblicken ihren lebenslustigen Vater ›den
Ox‹, natürlich nur unter sich und wenn er nicht dabei war.
    Jeanmarie, der fünfundzwanzig, und
seine Schwester Bettine, die dreiundzwanzig war, empfanden sich fast als
Zwillinge, und lebten im zärtlichen Einverständnis einer heimlichen
Verschwörung, die sich vor allem auf die distanziert-ironische Opposition zu
sämtlichen Meinungen, Gewohnheiten und Handlungen ihrer Eltern gründete.
Jeanmarie, der keinerlei Neigung oder Begabung zum Geschäftsleben empfand und
sich nur für Musik interessierte, ohne jedoch zur musikalischen
Berufsausbildung talentiert genug zu sein, diente auf Wunsch des Vaters als
aktiver Leutnant beim vornehmsten Mainzer Kavallerie-Regiment, den 6er
Dragonern. »Bis ich mal sterbe«, pflegte Panezza zu sagen, »soll er ruhig
Soldat und Klavier spielen, dann kann er Coupons schneiden. Viel Intelligenz
braucht man zu beidem nicht.«
    Die künstlerischen Neigungen seiner
Kinder schienen ihm eher ein Zeichen geistiger Schwäche oder mangelnder
Lebensenergie zu sein, obwohl er selbst ein angeregter Theater- und
Konzertbesucher war und überhaupt allen leichteren und beschwingten
Daseinselementen zugetan, doch nur innerhalb dessen, was er die ›gesunde
Wirklichkeit nannte.
    Seine Frau Clotilde, eine geborene
Moralter, aus Südtirol stammend und halb sizilianischer Abkunft, neigte mit
zunehmenden Jahren zu einer Art von phlegmatischer Kränklichkeit und lebte nur
auf, wenn es den Blumengarten oder das Gewächshaus zu betreuen galt.
    Bettine, ein unauffälliges Mädchen von
gutem Wuchs, schien die Anlage zu Phlegma und Kopfschmerzen von ihrer Mutter
geerbt zu haben, doch lag in ihrem Wesen ein versteckter Zug zum Exaltierten,
der sich vor der Reife in verstiegener Frömmigkeit, jetzt in einer fast
vernarrten Bewunderung für ihren geistig überlegenen, in ihrer Traumvorstellung
übermenschlich genialen und bedeutenden Bruder äußerte. Dieser selbst,
Jeanmarie, hielt sich weder für genial noch bedeutend, doch war sein Wesen, wie
das vieler gut veranlagter junger Leute in diesen Tagen, von einer feinfühligen
Skepsis durchsetzt, einem nagenden und ahnungsvollen Zweifel an der
Beständigkeit der sie so fest umzingelnden Ordnung, und einer lustvollen,
abenteuerlichen Vorstellung von ihrer möglichen Zerstörung, was ihm in seinen
eignen Augen und in denen seiner Bekannten etwas vom Außenseiter oder Frondeur
verlieh. Trotzdem war er, mit seinen hübschen, dem Vater ähnlichen Zügen und
seiner natürlichen Noblesse, durchaus ein angenehmer junger Herr von guten
Manieren und heiterer Lebensart.
    Jetzt mühten sich beide Geschwister,
nicht ohne eine leise Verlegenheit, die plötzlich hereingeschneite Cousine,
eigentlich Groß-Cousine oder Base zweiten Grades, deren Besuch aus dem fernen
Palermo merkwürdigerweise nicht angekündigt war, ein wenig aufzutauen: denn sie
machte noch immer, trotz des wohlgeheizten Salons und des dampfenden Rum-Tees,
einen erstarrten oder gefrorenen Eindruck. Zwischendurch allerdings verfiel sie
in eine unvermittelte, sprudelnde Lebhaftigkeit, besonders wenn sie vom
Deutschen, das sie an sich gut beherrschte, in das beiden Geschwistern von Kind
auf vertraute Italienisch überging. Dann hingen Jeanmaries Augen an ihren
vollen, etwas zu breiten Lippen und ihrem jählings von innen aufblühenden
Gesicht mit den wirklich violenfarbenen Augen, das ihn an Bilder der jungen
Eleonora Duse erinnerte.
    Sie redete lachend, und mit einer
ähnlichen Ironie, wie sie Jeanmaries und Bettinens intimen Gesprächston färbte,
von zu Hause, von der sizilianischen Gesellschaft und der enormen
Langweiligkeit des Lebens im elterlichen Palazzo, die in ihr die sehnsüchtige
Erinnerung an ungebundene Kindertage bei ihren Verwandten im Rheingau und den
plötzlichen Entschluß zu dieser Reise geweckt habe. Ja, natürlich habe sie
gewußt, daß es die wirblige Zeit des Karnevals mit all seiner Tag und Nacht
nicht ruhenden

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