In der Abenddämmerung
des Fastnachtsamstags 1913 wird ein Unbekannter in Dragoneruniform im Mainzer Dom
erdolcht. Wer ist sein Mörder? Wo liegen die Motive für die rätselhafte
Bluttat? Während des turbulenten Treibens der Mainzer Fastnacht versucht der
Staatsanwalt diese Fragen zu klären. Im Morgengrauen des Aschermittwochs finden
nicht nur Mummenschanz und Maskenspiel des Narrenvolks ihr nüchternes Ende; die
Demaskierung reißt mehr vom Gesicht als nur die spielerisch aufgesetzte Maske:
der Ermordete hat die Betroffenen zur »Fastnachtsbeichte« gezwungen, sein Tod
sie dazu geführt, vor sich selbst, ihren Mitmenschen und Gott ihre Schuld zu
bekennen.
Carl Zuckmayer erzählt
die ›Fastnachtsbeichte‹ im Volkston eines romantischen Märchens und zugleich
mit der inneren Spannung eines dramatischen Geschehens. Aus der Welt E. T. A.
Hoffmanns und Edgar Allan Poes scheinen einige der von unheimlichen Ahnungen
und Ängsten getriebenen Gestalten entnommen. Doch entscheidend für die Welt
dieser Erzählung sind nicht Verwechslung, Rollen- und Maskentausch und
Doppelgestalt. Diese äußeren Elemente spiegeln bedeutsame tiefenpsychologische
Zusammenhänge wider und offenbaren ein modernes Menschenbild an der Grenze
zwischen Bewußtem und Unbewußtem, zwischen Verantwortung und Kreatürlichkeit,
zwischen Geist und Trieb.
Carl Zuckmayer wurde 1896 in
Nackenheim am Rhein geboren, er wuchs in Mainz auf, studierte in Frankfurt und
Heidelberg und ging 1920 nach Berlin. Die Theaterpraxis lernte er als Dramaturg
in Kiel, München und Berlin kennen. Seit dem ›Fröhlichen Weinberg‹, für den er
den Kleist-Preis erhielt, wurde er — in der Nachfolge Gerhart Hauptmanns — zum
meistgespielten Dramatiker Deutschlands. 1933 erhielt er Aufführungsverbot.
Carl Zuckmayer verließ Deutschland: Er ließ sich zunächst in Österreich nieder,
emigrierte dann in die Schweiz und die USA. Seit 1958 war er in Saas-Fee in der
Schweiz ansässig. Dort starb er am 18.1.1977. Carl Zuckmayer wurde der
Ehrendoktor der Universität Bonn verliehen; er war Mitglied der Friedensklasse
des Ordens »Pour le Mérite«; 1952 erhielt er den Goethe-Preis der Stadt
Frankfurt, 1955 das Große Bundesverdienstkreuz und 1972 den
Heinrich-Heine-Preis.
134.-136. Tausend:
Oktober 1994
Ungekürzte Ausgabe
Veröffentlicht im
Fischer Taschenbuch Verlag GmbH,
Frankfurt am Main, Juni 1975
Lizenzausgabe mit
Genehmigung
des S. Fischer Verlages
GmbH, Frankfurt am Main
© 1959, 1971 by Carl
Zuckmayer
Gesamtherstellung:
Clausen & Bosse, Leck
Printed in German
isbn 3-596-21599-4
Gedruckt auf chlor- und
säurefreiem Papier
[email protected] v1.0
31.01.2014
Die Fastnachtsbeichte
A m Fastnachtsamstag des Jahres 1913 — es
war ein trübkühler, dämmeriger Nachmittag Mitte Februar — betrat ein Mensch in
der Uniform des sechsten Dragonerregiments durch einen Nebeneingang am
Liebfrauenplatz das schwach erleuchtete Seitenschiff des Mainzer Doms. Unweit,
am Gutenbergplatz, vordem neuen Stadttheater, von dessen offnem Balkon herab
sich Prinz und Prinzessin Karneval in ihrem barocken Aufputz der Menge zeigten,
wurden grade, wie in jedem Jahr, die ›Rekruten Seiner Närrischen Majestät‹
vereidigt — die Anwärter auf Mitgliedschaft in einem der traditionellen Fastnachtsbataillone,
der Prinzen- oder Ranzengarde; und wenn die gepolsterte Doppeltür des inneren
Domeingangs auf- und zuschwang, wehten für eine Sekunde der heitere Lärm,
Trommelschlag, Pfeifengeschrill und das schon leicht angeschwipste Gejohle, das
die Stadt von der Großen Bleich bis zum Marktplatz überall durchzog, wie ein
verworrener Windgesang herein.
Drinnen aber im Dom, in dem außer dem
Ewigen Licht vorm Hochaltar nur wenige Lampen und Wachsstöcke brannten,
herrschte die gewohnte, steinerne Stille eines Beichtnachmittags, vom Knistern
der Kerzen vertieft, und man sah da und dort vor den einzelnen, in den
Seitenschiffen verteilten Beichtstühlen, deren jeder mit dem Namen des in ihm
verborgenen Priesters oder Domherrn bezeichnet war, ein paar dunkle Gestalten
knien, von denen einige das Gesicht in die Hände geschlagen hatten. Allzuviele
Bußfertige schien der Fastnachtsamstag nicht anzulocken. Auch vor dem Altar der
Madonna im Rosenhag hockten nur wenige alte Weiblein, in Erwartung der
Vesperandacht.
Der Mann in der hellblauen
Kavalleristenuniform mit dem