Die Finsternis
einen Blick auf uns werfen, um zu sehen, ob es sich lohnt, das Floß umzukippen.«
Gemma wischte sich den triefenden Pony aus den Augen. »Und zu welchem Schluss ist er gekommen?«
Die drei Orcas waren nicht mehr zu sehen. »Sie sind abgetaucht.«
»Ist das gut oder schlecht?«
»Ich weiß es nicht. Aber wir werden es herausfinden.«
»Wenn wir wirklich sterben müssen«, sagte Gemma nach einer Weile und lehnte sich im Floß zurück, »will ich lieber nicht dabei zusehen.« Plötzlich wirkte sie überrascht. »Trommeln Orcas?«
»Was?«
»Hörst du das nicht? Das ist eindeutig ein Trommeln.«
Ich lauschte gebannt, doch ich hörte nur das Klatschen der Wellen.
»Klingt wie ein U-Boot.«
»Du hörst etwas unter Wasser?« Ich legte mich hin und drückte mein Ohr auf den Boden des Floßes.
»Ich höre es nicht richtig«, gab sie zu. »Es ist eher eine Vibration.«
Den Ärzten zufolge, die mich wegen meiner Dunklen Gabe getestet hatten, verfügte ich über ein außergewöhnliches Gehör, aber jetzt konnte ich weder etwas hören, noch nahm ich irgendeine Vibration wahr.
Ich setzte mich wieder auf und beschloss, mich kurz unter Wasser umzusehen. Wenn tatsächlich ein U-Boot in der Nähe war, würde ich es mit meinem Biosonar sehen können. Doch gerade als ich aus dem Floß klettern wollte, brach nur ein paar Meter von uns entfernt eine Plexiglaskuppel durch die Wellen.
Das Wasser strömte über die Kuppel des U-Boots und ich erkannte eine Person mit blonden Locken, die uns herzlich zuwinkte. Das war Zoe. Sie musste versucht haben, dem grünen U-Boot zu folgen, obwohl die Slicky nicht mit einem Boot dieser Größe Schritt halten konnte. Sie hatte eine Weile gebraucht, um bis hierherzukommen.
Als ich mich kurze Zeit später hinter Gemma in das Nanoboot zwängte, grinste mich Zoe vom Pilotensitz aus an. Sie wartete nicht einmal ab, bis ich durchgeatmet hatte, sondern fragte gleich: »Na, bist du froh, dass ich nie auf dich höre?«
Als wir uns der Handelsstation näherten, hatte ich das Gefühl, dass etwas nicht stimmte. Ich führte es jedoch auf meine innere Unruhe zurück. Pausenlos kreisten meine Gedanken um die Frage, was die Surfs meinen Eltern angetan haben könnten.
»Es ist viel zu ruhig hier«, sagte Gemma mit einem Mal verängstigt.
Richtig, etwas fehlte – der Lärm. Es war ein gewöhnlicher Wochentag und trotzdem kreischten nur die Möwen über uns. Wo waren die Marktgeräusche? Und wo war der Markt? Das Oberdeck war leer. Auf der Promenade war nicht ein einziger bunter Verkaufsstand zu sehen. Kein Fischhändler pries lauthals seine Waren an, kein Käufer feilschte um die Preise. Nur ein paar zerstreute Boote schaukelten am äußeren Anlegering. Eine eisige Kälte ergriff mich.
»Fahr einmal rum«, sagte Zoe und lehnte sich nach vorn. »Vielleicht sind alle auf der anderen Seite.«
Als ich das Oberdeck umrundete, tauchten plötzlich drei Skimmer vor uns aus den Wellen auf. Der Rumpf bestand aus zwei Kapseln, die mit einem schmalen Gelenk verbunden waren, und hatte dadurch Ähnlichkeit mit einer Wespe.
»Was ist das?«, rief Zoe.
»Skimmer der Meereswache«, erwiderte ich.
»Dann sind die wahrscheinlich wegen der Nomad hier«, vermutete Gemma.
Während die Skimmer den Anlegering umrundeten, kippte die jeweils größere Kapsel am Heck der drei Fahrzeuge auf die Seite.
»Überirdisch«, sagte Zoe.
Ich wusste, dass ein Skimmer nicht nur vollständig untertauchen konnte, sondern dass sich das hintere Gehäuse auch noch um die eigene Achse drehen ließ, sodass der Gardist, der darin festgeschnallt war, das Meer unter sich absuchen konnte, auch wenn der Skimmer auf der Wasseroberfläche unterwegs war. Doch ich behielt diese Information für mich. Ich war so krank vor Sorge um meine Eltern, dass mir die schnellen Fahrzeuge egal waren.
Ich folgte den Skimmern bis zur gegenüberliegenden Seite des Oberdecks und wäre beinahe in eine lange Reihe aus festgemachten Booten der Meereswache hineingefahren. Doch noch erschreckender war, was die uniformierten Gardisten taten. Wie bei einer Eimerkette bargen sie die Leichen aus dem verlassenen Township.
Die Kommandantin der Meereswache stieg über die Körper, die entlang der Promenade aufgereiht waren, als würde sie nach etwas Bestimmtem suchen. Was das war, konnte ich nur erahnen, weil – glücklicherweise – Planen über die Toten gebreitet waren. Ich hatte Kommandantin Revas erzählt, dass die Surfs von der Drift meine Eltern entführt hatten.
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