Die Flammenfrau
rief sie. Ihre Stimme schallte durch den schmalen Gang. Der Ritter ließ sich gehorsam nach vorn auf den Pferdehals fallen. Kurz darauf ertönte ein leises Zischen, das sich gemeinsam mit dem Klang der Frauenstimme zu einem eigenwilligen Ton steigerte, der nicht mehr aufzuhören schien. Immer lauter schallte es durch die Grotte, in singenden Kreisen, so daß Bruno sich die Ohren zuhielt. Er vermochte nicht zu sagen, wie lange dieser Zauber wirkte, doch plötzlich war es dunkel um ihn herum.
»Der Wächter ist fort«, sagte die Kriegerin leise. Ihre Stimme klang erschöpft. »Schnell, wir müssen weiter!«
Arma zügelte Aysar. Vor ihnen lag der glühende Schlund des Lavarings. Erschöpft fuhr die Kriegerin sich mit der Hand über die Augen. Ihre Glieder brannten, und in ihrem Kopf drehte sich alles. Es war leichtsinnig gewesen, sich auf Erna, den Wächter, einzulassen. Genaugenommen war es eine ausgemachte Narretei, die sie jederzeit das Leben kosten konnte. Hoffentlich hatte die Heilerin einen warmen Kräutertee, dann würde sie sich zu Luovana ins Bett legen und mindestens drei volle Tage schlafen.
Mirka und die beiden Männer hatten ebenfalls den Höhlenausgang erreicht. Arma nickte der Gefährtin dankbar zu. Wenn Mirka den singenden Pfeil der Gwenyar nicht gehabt hätte, wären sie wahrscheinlich alle verloren gewesen! Erna ließ nicht zu, daß jemand bei Nacht seine Höhle lebend verließ.
»Verzeiht, Kriegerin.« Faramund hielt sein Pferd neben Arma an. »Ich sah Euch vorhin das Schwert schwingen, aber es schien diesem Höhlenbewohner nichts auszumachen. Wer ist er, daß ihn Eure Attacken unberührt lassen?«
Arma schaute ihn an. Das junge Gesicht vor ihr glühte vor Neugier. Langsam schüttelte sie den Kopf. Sie war entsetzlich müde und hatte nicht die geringste Lust auf lange Erklärungen. »Hat Euch die Hüterin nichts über den Wächter erzählt?« fragte sie leise.
»Nein.«
Sie seufzte. Der junge Ritter ließ sie nicht aus den Augen! »Die Legenden erzählen, der Wächter sei ein Mann aus dem alten Volk, der nicht sterben kann, weil er einem Magier seinen Tod verkauft hat.«
»Wollt Ihr damit sagen, er ist unsterblich?«
»Ganz recht.«
»Warum habt Ihr dann überhaupt gekämpft?«
Arma schaute eine Weile auf die brennende Schlucht vor ihnen, ehe sie antwortete. »Ich kann mit dem Schwert verhindern, daß er zaubert. Solange er angegriffen wird, kann er seine Magie nicht anwenden. Mehr kann ich nicht tun!«
»Und was ist, wenn er seine Magie anwendet?«
Arma zuckte mit den Schultern. »Er tötet damit jeden, der nachts in dieser Höhle ist, weil er selbst nicht sterben kann. Manche sagen, er tötet in der Hoffnung, eines von seinen Opfern gäbe ihm seinen Tod freiwillig, so wie er einst dem alten Magier. Aber das ist unwahrscheinlich.«
»Warum hat er seinen Tod verkauft?«
Arma war nicht in Stimmung für Geschichten und wollte endlich weiterreiten. Doch der junge Ritter schien unersättlich zu sein. »Vielleicht aus Habgier oder aus Größenwahn«. Sie fuhr ungeduldig mit der Hand durch die Luft. »Was müßte man Euch bieten, damit ihr der Verlockung eines ewigen Lebens nachgeben würdet? Gold? Macht? Magie?«
»Ich weiß nicht…« Faramund hielt inne. »So habe ich das noch nie betrachtet.«
»Das dachte ich mir!« Die Kriegerin straffte den Rücken und trieb die Stute an. Sie schaute auf die Gefährtin. »Bring die beiden Männer sicher hinüber.«
»Verzeiht mir meine Unnachgiebigkeit, Kriegerin.« Als sie den Lavaring hinter sich hatten, drängte sich Faramund mit seinem Pferd neben sie. »Aber ich würde gerne die ganze Geschichte hören.«
Arma seufzte. »Ich sehe schon, Ihr werdet wohl nicht eher Ruhe geben, bis Ihr alles über Erna erfahrt.«
Der Ritter nickte.
»Die Legende erzählt, daß ein Zauberer des alten Volkes einst vor vielen hundert Jahren nach dem ewigen Leben gesucht hat. Er braute sich einen Trank, mit dem er den Tod zu besiegen vermochte. Die Göttin jedoch, die Herrin über Leben und Tod ist, sah diesen Frevel und zürnte dem Magier. Sie legte einen Fluch über ihn. Er würde, so hieß es, nicht sterben, genau, wie er es wünschte. Außerdem würde er alles erlernen können, was er zu wissen begehrte, und würde der größte Magier aller Zeiten werden.«
»Aber das ist doch kein Fluch!« fuhr Faramund dazwischen.
»Doch, junger Freund, denn das große Wissen konnte den Magier niemals befriedigen. Die Göttin machte aus ihm einen Suchenden, der
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