Die Formel des Lebens: Von der Zelle zur Zivilisation (German Edition)
linear – komplizierter wird es, wenn wir uns den formalen Bezügen zuwenden. Ganz allgemein lässt sich zwischen all unseren Umwandlungen zumindest eine formale Ähnlichkeit feststellen: Immer geht es um eine Entwicklung vom Einfachen zum Komplexeren. Damit aber stellt sich nun die tiefer greifende Frage, was es mit dieser pauschalen Ähnlichkeit auf sich hat. Gibt es gemeinsame formale Kriterien, oder läuft jeder Prozess nach vollkommen unterschiedlichen Prinzipien ab? Versuche, formale Ähnlichkeiten aufzuzeigen, waren in der Vergangenheit stets ausgesprochen erfolglos. Das ist hauptsächlich auf zwei Fehlertypen zurückzuführen.
Erstens wird häufig das Gewohnte mit dem Grundlegenden verwechselt. Als Menschen sind wir alle bestens mit der Vorstellung des Entwerfens und Erschaffens von Gegenständen vertraut – wir stellen Kleider her, Möbel und Häuser. So scheint es ganz natürlich, den Begriff des Erschaffens als allgemeines Modell für die Wandlungsprozesse des Lebens zu verwenden. Ein Baum oder ein Frosch könnte durch einen schöpferischen Akt entstanden sein, genauso wie eine Uhr von einem Uhrmacher erschaffen wird. Statt eines Menschen bräuchten wir dafür zwar einen mächtigeren, göttlichen Schöpfer, doch das Prinzip, nach dem ein externes Agens Entwurf und Herstellung übernimmt, wäre dasselbe. Diese Auffassung hat eine lange Tradition und findet sich in vielen Religionen. Dank unserer inzwischen erlangten wissenschaftlichen Einsicht können wir heute aufzeigen, wo der Haken an dieser Erklärung liegt. Die Fähigkeit des Menschen, Gegenstände zu entwerfen und zu erschaffen, ist eine komplexe Eigenschaft, die sehr viel jünger ist als die Evolution selbst. Den Begriff des Erschaffens als allgemeines Erklärungsmodell zu verwenden, bedeutet, Komplexität zur Bedingung ihrer selbst zu machen. In diese Falle tappen wir nur deshalb, weil uns Menschen das Erschaffen so geläufig ist und wir nicht realisieren, dass dieser komplexe Vorgang selbst auf einer ganzen Folge anderer Wandlungsprozesse beruht.
Erst nach vielen Generationen konnte die Wissenschaft diese Irrmeinung hinter sich lassen. Wesentlich dabei war Darwins Identifizierung eines einfachen Mechanismus, der natürlichen Selektion,die die Komplexität und Vielfalt der Lebewesen auf unserem Planeten erklären konnte. Statt auf einen göttlichen Schöpfer zurückzugreifen, vollzieht sich die Evolution des Lebendigen unaufhaltsam durch die Art und Weise, wie sich Organismen fortpflanzen und mit ihrer Umwelt interagieren. Der Kampf um die Durchsetzung dieser Auffassung hat dauerhafte Spuren hinterlassen. Seither wird grundsätzlich unterschieden zwischen dem Begriff der menschlichen Betätigung (Entwurf und Erschaffen) einerseits und dem von biologischen Prozessen wie der Evolution andererseits. Es handelt sich dabei um sehr unterschiedliche Dinge, und sie miteinander zu vergleichen, ist sehr riskant.
Einen zweiten Fehlertyp bei der Suche nach formalen Ähnlichkeiten können wir wieder mit einem Ausflug zu unserem Schachspiel illustrieren. Betrachten wir das folgende Gespräch zwischen einem Schachlehrer und einem Anfänger:
Lehrer: »Diese Spielfigur, der Springer, sieht aus wie ein Pferd, weil er über andere Spielfiguren hinwegspringen kann.«
Schüler: »Aber wo sind denn seine Beine?«
Lehrer: »Er braucht keine Beine; der Spieler kann ihn springen lassen.«
Schüler: »Und wie macht der Spieler das?«
Lehrer: »Er nimmt den Springer und hebt ihn über die anderen Figuren hinweg.«
Schüler: »Aber wenn der Spieler selbst den Sprung macht, wozu braucht er dann ein Pferd?«
Zu dem Missverständnis kommt es, weil der Schüler die Ähnlichkeit zwischen einer Schachfigur und einem Pferd zu wörtlich nimmt. Pferde und Springer sind lediglich abstrakt oder symbolisch verbunden. Man kann ja wirklich die Regeln des Schachspiels lernen, ohne je von Pferden zu reden – indem man einfach nur lernt, wie der Springer sich bewegen darf. Das Spiel wäre genau dasselbe, wenn der Springer, statt wie ein Pferd, aussähe wie eine Teekanne – worauf es ankommt, ist lediglich die Gestalt seines Spielzugs. Werden Vergleiche zwischen Springern und Pferden allzu wörtlich genommen,kann das vom Wesentlichen ablenken; eine fehlgeleitete Analogie ist eher verwirrend als hilfreich.
Zu solchen Fehlern kam es beim Vergleich verschiedener Typen von Wandlungsprozessen des Lebens immer wieder. Ernst Haeckels Vorstellung, eine befruchtete Eizelle wiederhole bei
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