Die Fotografin
Leben hätten wir durchaus Freundinnen werden können. Doch dieses andere Leben ist für mich jedenfalls gelaufen. Isabelle Wagner redet immer schneller, so als hätte sie mir etwas Bahnbrechendes mitzuteilen.
„Jetzt frage ich Sie, woher kannte Ihr Mann den Namen Ihres Geliebten und seine Adresse? Wenn er doch laut seiner protokollierten Aussage vollkommen ahnungslos gewesen ist und aus allen Wolken fiel, als er erfuhr, dass seine Frau eine Affäre hat und eine Mörderin ist.“
Da ist er wieder, dieser dünne flackernde Hoffnungsstrahl, der uns dazu veranlasst, weiterzumachen und nicht einfach zu sterben. Dieser Hoffnungsschimmer, dass sich doch noch alles zum Guten wenden könnte. Elektrisiert schnelle ich vor, packe die Hände von Isabelle Wagner und drücke sie ganz fest.
„Haben wir damit eine Chance?“, frage ich und spüre einen Kloß in meinem Hals. „Gibt es Hoffnung?“
„Ich habe in dreißig Minuten einen Termin bei der Staatsanwaltschaft. Denen werde ich das Gleiche sagen wie Ihnen. Mal sehen, was dabei herauskommt. Machen Sie sich aber keine allzu großen Hoffnungen. Doch es ist einen Versuch wert.“
Damit wäre fast alles gesagt, doch dann erzähle ich ihr von Gregors Besuch und seinem zynischen Geständnis.
„Verzeihen Sie, Frau See!“, druckst sie herum, nachdem ich geendet habe, „aber Sie haben schon so viele Geschichten erzählt, die sich im Nachhinein als unwahr herausgestellt haben, dass Ihnen niemand glauben wird. Aber behalten Sie die Worte Ihres Mannes im Kopf, sie sollen Ihnen als Motivation dienen, nicht aufzugeben, sondern weiterzukämpfen.“
Isabelle Wagner steht auf, streicht den verdrückten Saum ihrer Jacke glatt und drückt die Schultern nach hinten. Förmlich wie zu Beginn streckt sie mir ihre Hand entgegen, die sich jetzt aber warm und vertraut anfühlt.
„Sie sind meine letzte Hoffnung, Isabelle Wagner!“, sage ich zum Abschied. „Informieren Sie mich bitte so schnell wie möglich!“
„Aber natürlich, Frau See! Ich lasse Ihnen eine Nachricht zukommen. Besuchen darf ich Sie diese Woche leider nicht mehr!“
Dreißig Minuten sind nichts im Vergleich zu „Lebenslänglich“, der Strafe, die mich höchstwahrscheinlich erwartet. Aber jetzt ziehen sich dreißig Minuten wie ein ganzes Jahr. Ich hocke mit angezogenen Beinen auf meiner Pritsche. Immer wieder starre ich auf den kleinen Wecker, der mir gestattet ist. Das Benutzen eines Laptops wurde mit der Begründung abgelehnt, dass ich mir mit dem Gehäuse ja selbst den Schädel einschlagen könnte.
Endlich ist es soweit, die halbe Stunde ist um.
Jetzt sitzt Isabelle Wagner bei der Staatsanwaltschaft und trägt ihre Beobachtungen und Bedenken vor. Jetzt nickt der zuständige Staatsanwalt und berät sich kurz mit seinen Kollegen. Lächelnd setzt er sich wieder an seinen Schreibtisch, dankt Isabelle Wagner für ihren kriminalistischen Spürsinn. Durch ihre Hilfe konnte eine Unschuldige vor einer Haftstrafe bewahrt und der wirkliche Täter überführt werden. Durch diese Initiative ist Isabelle Wagner reif für eine Beförderung. Der Oberstaatsanwalt selbst wird sich für ihre Versetzung zur Kriminalpolizei stark machen. Frau Adriana See ist unverzüglich auf freien Fuß zu setzen, verfügt der Oberstaatsanwalt und ruft selbst im Untersuchungsgefängnis an.
„Telefon für Sie!“
Die Stimme der schlecht gelaunten Wärterin schreckt mich hoch.
„Ich komme, ja ich komme!“, rufe ich hektisch und drücke beide Daumen, während ich zur Tür husche. Nervös trete ich von einem Fuß auf den anderen und warte, dass meine Zellentür aufgeschlossen wird. In dem breiten Gang, von dem aus die Zellen wegführen, hängt ein altmodischer Münzfernsprecher an der Wand. Der Hörer baumelt nach unten und meine Hände sind vor Aufregung schweißnass, als ich danach greife.
„Isabelle Wagner?“, hauche ich in den Hörer, denn meine Stimme versagt plötzlich. Auch mein Herz rast und droht zu zerspringen. „Habe ich Glück?“
„Es tut mir leid!“ Die Stimme von Isabelle Wagner klingt gepresst, wie immer ein wenig zittrig, aber sie bemüht sich um einen sachlichen Ton. „Man hat mir nicht geglaubt, sonst hätte ich ja sofort ein Protokoll davon angefertigt, wie ich es von Ihrem Geständnis gemacht habe. Damit war die Sache erledigt und wurde nicht einmal in den Akten vermerkt.“ Isabelle Wagner räuspert sich und redet dann genauso sachlich weiter. „Natürlich habe ich auch das Geständnis ins Spiel gebracht, das Ihr
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