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TS 86: Geist ohne Fesseln

TS 86: Geist ohne Fesseln

Titel: TS 86: Geist ohne Fesseln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Kneifel
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1.
     
    Er sah aus wie fünfzig, war in Wirklichkeit aber fast siebzig irdische Jahre alt. Unter einem grobgeschnittenen Gesicht, das von den Spuren einer bleiernen Müdigkeit gezeichnet war, trug Carel McKinney eine verstaubte und stellenweise zerrissene Majorsuniform der Vereinigten Mächte. In dem schwachen Licht einer einzelnen Kerze sahen seine kurzen Haare wie rostiges Eisen aus. Seine Augen waren zusammengekniffen und auf einen Punkt gerichtet.
    Der Punkt war der oberste Knopf in der Litewka eines Ordonnanzoffiziers, der vor einer Tür stand. Nur drei Handbreit von dem Knopf entfernt glänzte das Metall einer schweren Waffe. Das Gesicht der Ordonnanz war bleich, aber der Mann gab noch nicht auf.
    „Wenn ich sage“, erklärte McKinney düster, „daß ich Marlborough zu sprechen wünsche, dann wünsche ich ihn zu sprechen. Sollte ich ihn suchen müssen, werde ich dieses hier“, seine Hand mit der Waffe hob sich kaum merklich, „benützen müssen. Sind Sie überzeugt, daß ich den Chef finde?“
    Die Ordonnanz hob die Hände in Brusthöhe und sagte jetzt fast beschwörend:
    „Der Chef schläft seit fast vierzig Stunden jetzt zum erstenmal. Ich kann ihn nicht wecken, Sir!“
    McKinney sagte entschlossen, aber keineswegs lauter als bisher:
    „Gehen Sie, Offizier, und wecken Sie Marlborough. Sagen Sie ihm, Major KcKinney wünsche ihn eine halbe Stunde lang zu sprechen. Das wird ihn, denke ich, auf die Beine bringen. Ich habe – falls es Sie beruhigt, einige Stunden länger nicht geschlafen als Ihr Chef.“
    „Gut“, sagte der junge Offizier, „ich riskiere zwar meine Degradierung, aber ich wecke ihn. Bleiben Sie bitte hier.“
    Die Ordonnanz griff nach einer schweren Stablampe, die neben der Tür an einem verbogenen, rostigen Nagel hing und verschwand hinter den zersplitterten Brettern. McKinney wartete. Er konnte warten; er hatte es gelernt.
    Auf dem Planeten Saragossa war die Energieversorgung restlos zusammengebrochen. Er war reif für die Übergabe an den Feind. Der Planet, ein von der Bevölkerung nahezu geräumtes ehemaliges Sperrfort, war von den feindlichen Schiffen in eine Kraterlandschaft verwandelt worden. Nur einzelne Nester existierten noch, gehalten von den in die Erde gekrallten terranischen Soldaten. Die letzte Hoffnung war ein Schiff, das durchzubrechen versuchte. Seit einem Tag schwiegen die letzten intakten Funkgeräte, und niemand wußte, ob die Hunting Bow durchkommen würde. Sonst waren die Soldaten, die sich noch auf Saragossa befanden, binnen weniger Tage in feindlicher Gefangenschaft.
    Die Ordonnanz kam zurück.
    „Sie können hereinkommen“, sagte der junge Offizier. McKinney nickte ihm zu und stieß die Tür auf. Dahinter befand sich ein Raum, der mit einem Hauptbefehlsstand nur noch entfernte Ähnlichkeit besaß. Die Spuren des Beschusses aus schweren und überschweren Schiffsgeschützen waren nicht mehr zu beseitigen. Marlborough hockte auf dem Rand eines eisernen Bettes, der Uniformrock war halb zugeknöpft. Hinter McKinneys gewaltiger Gestalt schloß sich die Tür. Der Raum fiel in die Dunkelheit zurück. Vor McKinney beschrieb eine Streichholzflamme einen Halbkreis durch die Schwärze; die Bahn endete an dem Docht einer Kerze. Dann wurde es wieder langsam etwas hell.
    „Guten Abend, General Marlborough“, sagte McKinney mit müder Stimme.
    „Sie sind Carel McKinney?“ fragte die Stimme des Generals erstaunt. Eine schmale, harte Hand streckte sich dem Iren entgegen.
    „In Reinausgabe“, lächelte der Major, „etwas mitgenommen, aber noch intakt. Sie ahnen, was ich von Ihnen will?“
    Marlborough seufzte, nickte dann und hob die Hand.
    „Hören Sie, McKinney“, sagte er schwer. „Ich habe nichts, das ich Ihnen anbieten könnte. Weder einen Schnaps, weder militärischen Schutz noch ein Schiff, das Saragossa verläßt. Nichts. Gar nichts! Ich kann Ihnen lediglich sagen, daß wir in drei Tagen kapitulieren werden.“
    McKinney rührte sich nicht, obwohl er die Geräusche hörte und – erkannte. Ein kreischendes Heulen war in den Lüften, näherte sich rasch und ging dann in das charakteristische Wimmern gepreßter Luft über. Eine Reihe von gewaltigen Einschlägen ließen zwischen den meterdicken Platten des Stahlbetons kleine Rinnsale aus Sand hervorquellen. Einen Moment lang, während die Schallwände sich über der Decke des Hochbunkers trafen, glaubte McKinney, er stehe neben einem Schiffsgeschütz. Dann verhallte der Donner des letzten der sechs Einschläge

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