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Die Freude am Leben

Die Freude am Leben

Titel: Die Freude am Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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gestikulierte, sie brüllte ein Wort, das man nicht verstehen konnte, weil es nur noch als verstümmelter Laut aus ihrer Kehle drang. Sie fiel hin, stand wieder auf, fiel abermals hin, lief mit blutenden Händen weiter. Ihr Taschentuch war fortgeflogen, ihr unbedecktes Haar löste sich in der Sonne.
    »Was sagt sie nur?« wiederholte Pauline, von Entsetzen gepackt.
    Die Frau kam näher, sie hörten den heiseren Schrei, einem tierischen Brüllen gleich.
    »Das Kind! Das Kind! Das Kind!«
    Seit dem Morgen arbeiteten Vater und Sohn in ungefähr einer Meile Entfernung auf einem Haferfeld, das sie geerbt hatten. Die Frau hatte einen Korb Möhren holen wollen; sie hatte beim Fortgehen das schlafende Kind zurückgelassen und alles abgeschlossen, was sie sonst nie tat. Es war für sie ganz unfaßbar, sie schwor, selbst das letzte Fünkchen Glut ausgelöscht zu haben, doch zweifellos hatte das Feuer schon lange geschwelt. Jetzt war das Strohdach nur noch eine Feuersbrunst, die Flammen stiegen empor und ließen die große gelbe Helligkeit der Sonne rötlich flimmern.
    »Haben Sie denn abgeschlossen?« rief Lazare.
    Die Frau hörte ihn nicht. Sie war wie wahnsinnig, sie war grundlos rund um das Haus herumgelaufen, vielleicht um etwas Offenes zu finden, ein Loch, obgleich sie sehr wohl wußte, daß es nicht vorhanden war. Dann war sie abermals hingefallen, ihre Beine trugen sie nicht mehr, ihr altes, graues, jetzt unbedecktes Gesicht war vor Verzweiflung und Entsetzen in Todesangst verzerrt, während sie immerfort schrie:
    »Das Kind! Das Kind!«
    Schwere Tränen stiegen Pauline in die Augen. Doch Lazare vor allem regte sich auf über diesen Schrei, bei dem es ihn jedesmal vor Unbehagen schüttelte. Es wurde unerträglich, er sagte plötzlich:
    »Ich geh das Kind holen.«
    Seine Cousine sah ihn fassungslos an. Sie versuchte seine Hände zu ergreifen, sie hielt ihn zurück.
    »Du! Ich will nicht ... Das Dach wird einstürzen.«
    »Wir werden ja sehen«, sagte er nur.
    Und er schrie nun seinerseits der Frau ins Gesicht:
    »Der Schlüssel! Sie haben doch sicher den Schlüssel!«
    Die Frau starrte ihn offenen Mundes an. Lazare schüttelte sie und entriß ihr endlich den Schlüssel. Dann ging er, während sie heulend auf der Erde liegenblieb, mit ruhigem Schritt auf das Haus zu. Pauline folgte ihm mit den Augen, von Angst und Staunen festgenagelt, ohne auch nur den Versuch zu machen, ihn aufzuhalten, etwas so Selbstverständliches schien er zu tun. Ein Funkenregen fiel hernieder, er mußte sich an das Holz der Tür pressen, um sie zu öffnen, denn Büschel brennenden Strohs rollten vom Dach wie Wassergeriesel bei einem Gewitter; und dort fand er ein Hindernis, der verrostete Schlüssel wollte sich nicht im Schloß drehen. Aber Lazare fluchte nicht einmal, er nahm sich Zeit, schaffte es, die Tür zu öffnen, blieb noch einen Augenblick auf der Schwelle stehen, um den ersten Rauchschwall entweichen zu lassen, der ihm ins Gesicht schlug. Niemals hatte er solche Kaltblütigkeit an sich erlebt, er handelte wie im Traum, mit einer Sicherheit der Bewegungen, einer Geschicklichkeit und Umsicht, die die Gefahr ihm eingab. Er beugte den Kopf und verschwand.
    »Mein Gott! Mein Gott!« stammelte Pauline, die vor Angst fast erstickte.
    Mit einer unwillkürlichen Gebärde hatte sie die Hände gefaltet und preßte sie aneinander, als wollte sie sie zerbrechen; sie hob sie mit unablässigem Schwingen, wie es die Kranken in großen Schmerzen tun. Das Dach krachte, brach schon stellenweise ein, niemals würde Lazare die Zeit haben, wieder herauszukommen. Es schien ihr eine Ewigkeit, als wäre er seit unendlichen Zeiten dort drinnen. Die Frau auf der Erde atmete nicht mehr, sie lag da und konnte es nicht fassen, daß sie einen Mann hatte in das Feuer gehen sehen.
    Doch ein lauter Schrei stieg empor. Pauline hatte ihn, ohne es zu wollen, aus tiefstem Innern ausgestoßen, in dem Augenblick, da das Strohdach in die rauchenden Mauern stürzte.
    »Lazare!«
    Er stand in der Tür, das Haar kaum versengt, die Hände leicht verbrannt; und als er das Kleine, das weinend zappelte, der Frau in die Arme geworfen hatte, schimpfte er beinahe mit seiner Cousine:
    »Was denn? Warum regst du dich so auf?«
    Sie hängte sich an seinen Hals, sie schluchzte in einer solchen nervösen Entspannung, daß er sie aus Furcht vor einer Ohnmacht auf einen moosbewachsenen alten Stein setzen mußte, der an den Brunnen des Hauses gelehnt stand. Ihm selber versagten jetzt die

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