Die Furcht des Weisen / Band 2: Die Königsmörder-Chronik. Zweiter Tag
wieder der Kassette zu. Sie war mit kleinen, fest in Stoff eingewickelten Päckchen gefüllt. Ich nahm eines heraus. Etwas glänzte golden.
Die anderen murmelten ehrfürchtig. Ich überprüfte die restlichen Päckchen. Auch sie enthielten Münzen, alle aus Gold. Die Kassette enthielt grob geschätzt gut zweihundert Royals. Ich hatte noch nie eine solche Münze in der Hand gehabt, wusste aber, dass eine einzige achtzig Bits wert war, fast so viel, wie der Maer mir für die ganze Unternehmung mitgegeben hatte. Kein Wunder, dass er den Banditen unbedingt das Handwerk hatte legen wollen.
Ich überschlug im Kopf einige Zahlen, rechnete den Inhalt derKassette in eine mir vertrautere Währung um und kam auf über fünfhundert Silbertalente. Davon konnte man ein ganzes Wirtshaus kaufen oder einen Bauernhof mitsamt Vieh und allem Drum und Dran. Oder einen niederen Adelstitel, eine Stellung bei Hof oder ein Offizierspatent.
Ich sah, dass auch die anderen ihre Berechnungen anstellten. »Wie wär’s, wenn wir einen kleinen Teil davon unter uns verteilten?«, fragte Dedan, wenn auch nicht allzu hoffnungsvoll.
Ich zögerte und griff dann in die Kassette. »Wärt ihr mit einem Royal für jeden einverstanden?«
Die anderen schwiegen, während ich ein Päckchen auswickelte. Dedan sah mich ungläubig an. »Meinst du das im Ernst?«
Ich überreichte ihm eine Goldmünze. »Ich denke, weniger ehrliche Menschen würden das ganze Geld unterschlagen oder einfach damit verschwinden. Ein Royal ist eine angemessene Belohnung für unsere Ehrlichkeit.« Ich warf Marten und Hespe je eine Münze zu.
»Außerdem«, fügte ich hinzu und gab auch Tempi eine, »lautete mein Auftrag, die Banditen zu finden, nicht ein befestigtes Lager zu stürmen.« Ich hielt meinen Royal hoch. »Das ist unser zusätzlicher Lohn für Dienste, zu denen wir nicht verpflichtet waren.« Ich steckte die Münze in die Tasche und klopfte darauf. »Alveron braucht davon nicht zu erfahren.«
Dedan lachte und schlug mir auf den Rücken. »Du bist doch nicht so viel anders als wir.«
Ich lachte ebenfalls und drückte den Deckel der Kassette wieder zu. Das Schloss rastete mit einem Klicken ein.
Meine Großzügigkeit hatte noch zwei weitere Gründe, die ich allerdings verschwieg. Zum einen erkaufte ich mir damit die Loyalität meiner Gefährten. Denn natürlich mussten sie auf den Gedanken kommen, dass sie die Kassette ganz leicht klauen und damit verschwinden konnten. Auch ich hatte das kurz überlegt. Mit fünfhundert Talenten konnte ich zehn Jahre lang an der Universität studieren und hatte noch einiges übrig.
Jetzt dagegen waren sie um einiges Geld reicher und hatten trotzdem das Gefühl, ehrlich gehandelt zu haben. Die Goldmünze in ihrer Tasche würde sie von dem Gold ablenken, das ich bei mir trug.Dennoch nahm ich mir vor die verschlossene Kassette nachts unter mein Kopfkissen zu schieben.
Zweitens konnte auch ich das Geld gut gebrauchen. Den Royal, den ich ganz offen eingesteckt, und auch drei weitere Royals, die ich beim Verteilen des Geldes heimlich für mich abgezweigt hatte. Wie gesagt, Alveron würde den Unterschied nicht bemerken und mit vier Royals konnte ich an der Universität die Studiengebühren für ein ganzes Trimester bezahlen.
Ich steckte die Kassette des Maer zuunterst in meinen Reisesack. Dann überlegten wir, was wir von der Ausrüstung der Banditen mitnehmen wollten.
Die Zelte ließen wir aus demselben Grund zurück, aus dem wir keine eigenen mitgebracht hatten: Sie waren zu sperrig zum Tragen. Dagegen packten wir so viel Proviant ein, wie wir befördern konnten. Je mehr wir hatten, desto weniger mussten wir unterwegs kaufen.
Ich beschloss, auch ein Schwert mitzunehmen. Zwar hätte ich mir nie eins gekauft, da ich nicht damit umgehen konnte, aber wenn es eins umsonst gab …
Tempi beriet mich bei der Auswahl aus dem Arsenal der Banditen. Zunächst engten wir die Wahl auf zwei Schwerter ein. Dann fragte er unvermittelt: »Du kannst nicht mit einem Schwert umgehen?« Mit einem Handzeichen bedeutete er mir, dass ihm die Frage ein wenig unangenehm war.
Die Vorstellung, jemand könne nicht mit einem Schwert umgehen, war für ihn offenbar nicht nur peinlich, sondern ähnlich abwegig wie der Gedanke, jemand könne nicht mit Messer und Gabel essen. »Nein«, antwortete ich zögernd. »Aber ich hatte gehofft, du könntest es mir zeigen.«
Tempi erstarrte. Wenn ich ihn nicht besser gekannt hätte, hätte ich es als Weigerung verstanden.
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