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Die Geächteten

Die Geächteten

Titel: Die Geächteten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hillary Jordan
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Jahren sogar zum Minister für Glaubensfragen unter Präsident Morales ernannt worden. Wie könnte Hannah die Namen nicht nennen? Wie könnte sich überhaupt jemand diesem Mann widersetzen?
    »Nein«, sagte sie. »Ich werde es nicht tun.«
    Die Zuschauer seufzten zeitgleich auf. Pastor Dale legte seine Hand auf die Brust und senkte den Kopf, als würde er ein stilles Gebet sprechen.
    »Miss Payne«, sagte der Richter, »hat Ihr Anwalt Sie darüber aufgeklärt, dass Ihre Strafe sich um sechs Jahre verlängert, wenn Sie sich weigern, die Namen von Abtreiber und Kindsvater zu nennen?«
    »Ja«, erwiderte sie.
    »Die Gefangene erhebe sich.«
    Hannah spürte die Hand ihres Anwalts auf ihrem Ellenbogen, der sie auf diese Weise stützte. Ihre Beine schlotterten, und ihr Mund war vor Angst ganz trocken. Doch ihr Gesicht blieb ausdruckslos.
    »Hannah Elizabeth Payne«, begann der Richter.
    »Bevor Sie sie verurteilen«, unterbrach Pastor Dale ihn, »kann ich mich noch einmal an den Gerichtshof wenden?«
    »Sie dürfen.«
    »Ich war der Pastor dieser Frau. Ihre Seele lag in meiner Obhut.« Sie schaute ihn an, und ihre Blicke trafen sich. Der Schmerz in seinen Augen zerriss ihr das Herz. »Dass sie heute vor diesem Gerichtshof sitzt, ist nicht nur ihr Fehler, sondern auch meiner. Ich habe es nicht geschafft, sie zu einem rechtschaffenen Leben heranzuführen. Ich habe zwei Jahre mit Hannah Payne zu tun gehabt. Ich habe gesehen, wie sehr sie ihre Familie liebt, ich habe ihre Güte, die sie den weniger Glücklichen entgegenbrachte, erlebt. Ich habe ihren wahren Glauben an Gott gesehen. Auch wenn ihr Verbrechen schwer wiegt, glaube ich doch, dass sie durch die Gnade des Herrn ihre Schuld wird abtragen können, und ich werde alles in meiner Macht Stehende tun, um ihr dabei zu helfen, wenn Sie Milde walten lassen.«
    Unter den Geschworenen nickten viele Köpfe, und so manches Auge wurde feucht. Selbst der ernste Gesichtsausdruck des Richters wurde ein bisschen weicher. Hannah begann zu hoffen. Doch dann schüttelte er plötzlich den Kopf, als wollte er sich von einem Zauber befreien, und sagte: »Es tut mir leid, Pastor. Das Gesetz ist in diesen Fällen allgemeingültig.«
    Der Richter wandte sich wieder ihr zu. »Hannah Elizabeth Payne, Sie wurden für schuldig befunden, einen Mord zweiten Grades begangen zu haben. Ich verurteile Sie deshalb, sich durch das texanische Justizministerium der Melaverchromung zu unterziehen. Sie werden dreißig Tage in der Chrom-Station des Staatsgefängnisses Crawford verbringen und für sechzehn Jahre eine Rote bleiben.«
    Als er mit dem Hammer auf den Tisch schlug, schwankte sie, doch sie fiel nicht. Als die Wachen sie abführten, schaute sie nicht einmal Aidan Dale an.

 
    DIE DUSCHE WURDE HANNAHS EINZIGE ABWECHSLUNG und eine äußerst wichtige Unterbrechung im Verlauf der langen trostlosen Stunden zwischen Mittag- und Abendessen. Diese Lektion hatte sie bereits am zweiten Tag gelernt, als sie gleich früh am Morgen geduscht hatte. Der Nachmittag war dahingekrochen, und die unsägliche Stille hatte gegen ihre Trommelfelle gehämmert. Ihre Gedanken waren zwischen Vergangenheit und Gegenwart hin- und hergerast. Als sie – um sich zu zerstreuen – versucht hatte, ein zweites Mal zu duschen, kam kein Wasser aus den Düsen. Sie verfluchte ihre Aufseher mit einem schonungslosen: »Ihr sollt verflucht sein!« Noch vor zwei Jahren hätte das die junge, noch unschuldige Hannah geschockt. Ihr Leben damals hatte sich um Familie und Kirche gedreht. Sie lebte bei ihren Eltern, arbeitete als Schneiderin für einen örtlichen Brautsalon, ging am Sonntagmorgen und am Mittwochabend in die Kirche und zweimal die Woche in die Bibelstunde, ehrenamtlich half sie im Secondhandladen und engagierte sich für die Kandidaten der Trinitätspartei. Diese Hannah war ein gutes Mädchen gewesen und eine gute Christin. Sie hatte ihren Eltern gehorcht – fast immer.
    Eines ihrer heimlichen Laster waren Kleider: Kleider mit Schlüsselloch-Ausschnitt und Perlmuttknöpfen, mit durchsichtigen Überwürfen und Bleistiftröcken aus prachtvollen Samtstoffen und juwelenbesetzter Seide und Voile, der mit Goldfäden durchzogen war. Sie entwarf sie selbst und nähte sie in der Nacht. Dann versteckte sie sie unter den Haufen weißer jungfräulicher Seide, Spitze und Tüll, die sich in ihrem Arbeitszimmer über der Garage stapelten. Hatte sie ein Kleid fertig, vergewisserte sie sich zweimal, ob ihre Eltern und Becca schliefen. Dann stieg

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