Die Geächteten
aussprach: ein Gedicht aus zwei Silben. »Aber er ist nicht allein. Sein Vater ist bei ihm, und Jesus ist an seiner Seite.«
Und du an meiner . Sie war sich deutlich bewusst, dass nur wenige Zentimeter sie trennten. Sie konnte seinen Geruch wahrnehmen, Zeder und Apfel und eine schwache, spitze Note von roher Zwiebel, und sie spürte die Hitze, die sein Körper auf ihrem Rücken hinterließ. Sie schloss die Augen, ergriffen von einem unbekannten Gefühl, einer aufsteigenden Welle aus Lust und Bedürfnis und Zugehörigkeitsgefühl. Meinten die Menschen das, wenn sie von Verlangen sprachen?
Ihr Vater stöhnte im Schlaf, und das brachte sie wieder in die Wirklichkeit zurück. Wie konnte sie solche Gedanken haben, während er verwundet und leidend vor ihr lag? Wie konnte sie an so etwas nur denken?
Zudem war Aidan Dale ein verheirateter Mann. Er und seine Frau Alyssa hatten bereits in den frühen Zwanzigern geheiratet, und nach dem, was man so hörte, war ihre Ehe glücklich. Seine unfehlbare Güte ihr gegenüber und der selbstvergessene, bewundernde Ausdruck ihres Gesichtes, wenn er predigte, waren der Grund dafür, dass viele weibliche Mitglieder der Gemeinde so oft seufzten. Auch Becca, die mit achtzehn geschworen hatte, niemals zu heiraten, wenn sie nicht so sehr verliebt sei wie die Dales. Allerdings waren sie kinderlos. Niemand wusste, warum, aber in der Kirche war dies ständig ein Thema von Spekulationen und Gebeten. Alle waren sich darüber einig, dass es keine zwei Menschen geben könnte, die besser als Eltern geeignet wären als Aidan und Alyssa Dale. Dass Gott ausgerechnet ihnen das größte aller Geschenke verweigern sollte, blieb ein Rätsel und ein lebhafter Ausdruck Seines unergründlichen Willens. Wenn die Dales darüber traurig waren – und wie sollten sie es nicht sein? –, warum hatten sie dann kein Kind adoptiert? Sie ertrugen ihr Leid und steckten all ihre Energie in die Kirche. Es blieb nicht unbeobachtet, dass sich Dales Missionsgesellschaft auf Kinder, insbesondere die notleidenden, konzentrierte. Er hatte Heime und Schulen in jeder größeren Stadt von Texas gegründet und eine Vielzahl weiterer im ganzen Land. Er besuchte regelmäßig die Flüchtlings-Camps in Afrika, Indonesien und Südamerika und hatte mit den Regierungen vieler vom Krieg verwüsteten Staaten zusammengearbeitet, damit amerikanische Familien Waisenkinder adoptieren konnten. Die Missionsgesellschaft für den Weg, die Wahrheit und Weltweites Leben hatte Millionen zur Verfügung, doch die Dales lebten nicht in einer bewachten Villa oder umgeben von einer ganzen Armee von Dienern und Bodyguards. Das meiste Geld ging an die Menschen in Not. Aidan Dale war weltweit bekannt und wurde für sein Engagement bewundert. Man betrachtete ihn als guten Gottesmenschen, und Hannah war stets stolz gewesen, zu seiner Gemeinde zu gehören. Doch was sie jetzt im Augenblick fühlte – was seine Nähe und die einfache Berührung seiner Hand in ihr entfacht hatten –, war weit entfernt von Stolz und Bewunderung. Sündhaft weit entfernt. Vergib mir, Herr, betete sie.
Pastor Dales Hand gab ihre Schüler frei und hinterließ einen kalten, leeren Platz. Er ging zurück zu ihrer Mutter. »Brauchen Sie irgendetwas, Samantha? Irgendwelche Hilfe zu Hause?«
»Nein, aber ich danke Ihnen. In der Familie und unter den Kirchenfreunden haben wir mehr helfende Hände und Eintöpfe, als wir brauchen.«
Sanft fragte er: »Und Sie haben genug Geld?«
Hannah sah, dass ihre Mutter leicht errötete. »Ja, Herr Pastor. Wir haben keine Probleme.«
»Bitte nennen Sie mich Aidan.« Als sie zögerte, fügte er hinzu: »Ich bestehe darauf.« Schließlich nickte sie zustimmend. Pastor Dale lächelte zufrieden, weil er sich durchgesetzt hatte, und Hannah lächelte ebenfalls, wusste sie doch, dass ihre Mutter eher mit dem Kiffen anfangen oder Dessous-Model werden würde, als einen Geistlichen mit seinem Vornamen anzusprechen.
Aidan . Hannah stellte sich vor, seinen Namen auszusprechen. Doch, ich könnte es.
Er gab ihnen seine private Rufnummer und ließ sich versprechen, dass sie ihn jederzeit anrufen würden, wenn sie etwas bräuchten. Als er Hannahs Mutter die Hand reichte, nahm sie diese in beide Hände, dann beugte sie sich nach vorn und legte ihre Stirn einige Sekunden darauf. »Gott segne Sie für Ihr Kommen, Herr Pastor. Für John wird es die Welt bedeuten, dass Sie hier gewesen sind.«
»Ich … ich bin froh, gerade in der Stadt gewesen zu sein«,
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