Die Geheimnisse Der Tinkerfarm
und ließ zwei Tropfen in Gideons offenen röchelnden Mund fallen.
»Was machen Sie mit ihm?«, begehrte Lucinda auf, aber Colins Mutter ignorierte sie und blickte Gideon an, als ob der am Boden liegende und um Atem ringende alte Mann das Interessanteste wäre, was sie je gesehen hatte. Colin umklammerte |420| seinen Rucksack und hatte auf einmal mehr Angst als je zuvor im Leben.
Kurz darauf begannen sich Gideon Goldrings qualvoll verkrampfte Züge zu entspannen. Die Blutergussfarbe ging genauso rasch wieder weg, wie sie gekommen war, dann hörte auch das rauhe Röcheln auf. Gideons Mund schloss sich und öffnete sich gleich wieder zu einem langen Atemzug. Bald atmete er wieder normal.
»Gepriesen sei Gott!«, murmelte Sarah auf Deutsch.
»
Sie
hatten ihn vergiftet!«, beschuldigte Lucinda Jenkins Colins Mutter, in gleichem Maße ängstlich und zornig. Diesmal sagte Colin nichts, er hatte nämlich ungefähr dasselbe gedacht. »Sie hatten ihn vergiftet, damit Sie ihm das Gegengift verabreichen konnten!«
Mrs. Needle lächelte tatsächlich, wenn auch nicht sehr freundlich. »Ach, Unsinn, Kind. Das ist ein Symptom, das bei Gideon diesen Sommer auftrat, als er von seiner Krankheit genas …«
»Sie meinen die Pilzsporen, die Sie ihm verpasst haben?«, fragte Tyler dazwischen.
»Die
Krankheit?«
Colins Mutter behielt ihr Lächeln bei, doch ihr Gesicht war ansonsten starr wie eine Maske. »Ihr solltet euch wirklich mehr Respekt vor Älteren angewöhnen, Tyler und Lucinda Jenkins. Mit euren schlechten Manieren werdet ihr euch im Leben noch mal ernste Schwierigkeiten einhandeln.« Während Ragnar Gideon ins Bett zurückhalf, drehte sie sich langsam zu Walkwell um, als sei er der Richter, dem sie ihre Sache vortrug. »Diese Kinder können Unsinn verbreiten, so viel sie wollen, aber ich bin sicher, dass du die Lage richtig einschätzt, Simos. Du bist Gideons ältester Freund hier. Du verstehst, dass er diese sehr schwere Krankheit hat und dass ich, und nur ich, das Mittel habe, das ihn heilt – oder das die Krankheit in |421| Schach hält. Also, wofür plädierst du, Simos? Möchtest du, dass ein sinnloser Krieg zwischen uns entbrennt, oder wollen wir mit vereinten Kräften dafür sorgen, dass Gideon gesund bleibt, und diese Farm für die lieben Jenkins-Kinder verwalten, die sie eines Tages erben werden?« Aus ihrem lächelnden Mund wurde abrupt ein dünner Strich wie ein Messerschnitt. »Vorausgesetzt natürlich, dass sie so lange leben. Selbst in dieser schönen neuen Welt ist das Leben eine unsichere Angelegenheit.«
Während Walkwell sie ansah, mischten sich Kummer, Zorn und Müdigkeit in seinem Gesicht.
»Tu’s nicht!«, sagte Tyler Jenkins, als ahnte er die Entscheidung voraus. »Wir bringen Gideon ins Krankenhaus. Lass nicht zu, dass sie ihren Willen bekommt!«
»Niemand bekommt hier seinen Willen«, sagte Colins Mutter, behielt aber den Blick auf Simos Walkwell gerichtet. »Wir … schließen einen Kompromiss. Zum Wohl aller Beteiligten. Und Gideon wird zustimmen, das verspreche ich dir.« Sie sah zu Gideon hinüber. Er war wieder bei Bewusstsein, wich aber ihrem Blick aus wie ein verängstigtes Kind. »Ja, ja, der gute Gideon hat schon immer gewusst, was zu seinem Besten ist.« Sie zog eine Augenbraue hoch. »Nun, Simos? Soll Friede zwischen uns sein?«
Ragnar verließ Gideons Seite und baute sich vor ihr auf, die mächtigen Fäuste geballt. Seine Oberarme hatten fast den Umfang ihrer schlanken Taille. »Sag mir, was du wünschst, Simos«, stieß der Nordmann zähneknirschend hervor. »Ich werde zu dir halten.«
Walkwell schüttelte langsam den Kopf. »Ich muss an Gideon denken – und an die Farm«, sagte er. »Wir werden also Frieden schließen.« Er blickte von Patience Needle zu Colin, und seine Augen waren plötzlich so dunkel, dass Colin erschrak. » |422| Aber denke daran, wir werden nur so lange Frieden haben, wie Gideon und diese beiden Kinder wohlauf bleiben.«
Mrs. Needle lachte. »So soll es sein, Simos: Friede. Bis auf weiteres. Komm mit, Colin.«
Colin Needle war kurz davor gewesen, das Kontinuaskop zu opfern, um seine Mutter zu retten, jetzt aber wäre er am liebsten gar nicht mit ihr gegangen. Seine Trophäe war immer noch im Rucksack versteckt, immer noch sein Geheimnis, vor allen anderen verborgen. Er wollte es wieder verstecken, selbst vor seiner Mutter. Was hatte er sonst, das wahrhaft ihm gehörte?
»Colin, ich warte.«
Er wollte seiner Mutter nicht folgen, aber er tat es, weil
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