Die Gottessucherin
versichert, kennt man sie fast nur noch als Namenspatronin von Straßen und Plätzen.
Also ein Traum für einen Romanautor?
Ja - und ein Alptraum zugleich. Noch nie habe ich mit einer historischen Figur so gerungen wie mit dieser, und mehrere Male war ich kurz davor, die Arbeit an dem Stoff aufzugeben. Zwei Aspekte machen das Schicksal dieser Frau für einen Roman höchst problematisch. Zum einen die Höhenlage. Schon in jungen Jahren verwitwet, führte Gracia Mendes ein international verzweigtes Handelshaus, das ähnlich groß und mächtig war wie das der Fugger. Als eine der reichsten Frauen der Welt hat sie Königen und Päpsten die Stirn geboten. Gerade diese Höhenlage aber macht es schwer, sie heutigen Lesern als Identifikationsfigur zu vermitteln. Zum anderen trägt ihre Lebensgeschichte teilweise Züge einer Heiligenlegende. Doch kein Charakter eignet sich für einen Roman weniger als der eines Protagonisten, der stets das Gute will und stets das Gute auch noch schafft. Um Gracia Mendes »romantauglich« zu machen, habe ich deshalb versucht, ihrer äußeren Lebensgeschichte ein inneres menschliches Drama einzuweben, das uns auch heute noch berührt und betrifft, ohne die »wirkliche« Gracia Mendes dadurch zu denunzieren. Den Schlüssel dazu fand ich in ihrer Geschichte selbst. Was mich vom ersten Augenblick, da ich von der historischen Figur Kenntnis nahm, am Schicksal meiner Heldin faszinierte, war die Bedeutung des Glaubens, die an allen Wendepunkten ihres Lebens zutage tritt. Gracia Mendes war eine Frau, die auf ihrer Lebensreise vom westlichsten Zipfel Europas, Lissabon, bis ans östlichste Ende des Kontinents, Konstantinopel, in den Konflikt der drei großen Weltreligionen geriet: In einer Zeit, in der die Reformation die katholische Christenheit in ihrem Innern spaltete, rettet eine zwangsgetaufte Jüdin Tausende ihrer Glaubensgenossen vor dem Tod, indem sie ihnen zur Flucht vor der christlichen Inquisition verhilft, um mit Unterstützung eines muslimischen Herrschers den uralten Traum des Volkes Israel vom gelobten Land zu verwirklichen - in Palästina, wo bis heute Juden und Muslime und Christen sich die Rechte um ein Stück Land streitig machen, in dem alle drei Religionsgemeinschaften ihre Glaubenswurzeln verorten.
Mir ist keine andere Geschichte bekannt, die so eindrucksvoll darüber Aufschluss gibt, wie nahe Fluch und Segen des Glaubens beieinanderliegen. Vom Glaubenseifer zum Glaubensfanatismus ist es in Gracia Mendes' Leben stets nur ein Schritt. Aus der Kraft ihres Glaubens hat sie die großartigsten Leistungen vollbracht - und aus der Kraft desselben Glaubens zugleich fürchterliche Schuld auf sich geladen. Im Gefühl der Erwähltheit verlor auch sie Maß und Selbstbegrenzung, als wäre ihr Glaube an Gott mächtiger als Gott selbst - um zugleich in vollkommener Selbstaufgabe ihr Leben in den Dienst einer Mission zu stellen, mit der sie ihr Volk aus Verfolgung und Unterdrückung zu führen hoffte.
Diese Gratwanderung wollte ich mit meiner Deutung der Geschichte nachvollziehen. Folgende historische Ereignisse, die im Roman zur Sprache kommen, gelten in der Forschung als gesichert:
1483: Geburt von Francisco Mendes. 1485: Geburt von Diogo Mendes.
1492: Vertreibung der Juden aus Spanien; Aufnahme in Portugal.
1496: Heirat des portugiesischen Königs Manuel und der spanischen Infantin Isabella; Beginn des Antisemitismus in Portugal.
1497: Zwangskonversion und Massentaufe von zwanzigtausend Juden auf der Placa do Rossio in Lissabon.
1510: Geburt und Taufe von Beatrice de Luna alias Gracia Nasi.
1512: »Dekret der Milde«: König Manuel garantiert den Marranen zwanzig Jahre Straffreiheit in Glaubensdingen; Diogo Mendes gründet eine Handelsniederlassung in Antwerpen; erste Fluchthilfe-Aktivitäten der Firma Mendes; Geburt von Brianda Nasi.
1515: Erste Versuche, die Inquisition nach spanischem Vorbild in Portugal einzuführen.
1524: Geburt von José (Joseph) Nasi.
1524/25: Der Fall Nunes: ein marranischer Spitzel im Dienst der Judenverfolgung.
1525: Hochzeit von König Jono III. und Katharina von Spanien; Verschärfung des antijüdischen Klimas in Portugal; Francisco Mendes als Finanzier und Vertrauter des Königs; Bemühungen der Conversos unter Führung des Hauses Mendes, die Inquisition durch Geldzahlungen aufzuhalten; der Heilskünder David Reubeni auf der Placa do Rossio: Verheißung des Messias und Aufruf zur Rettung des heiligen Lands.
1528: Heirat von Gracia Nasi
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