Die großen Erzählungen
Muster der vernünftigen, maßvollen Überlegenheit. Und nichts erschien ihr wichtiger, als ein Kind in die Welt zu setzen, das ihre eigenen Vorzüge mit den unübertrefflichen ihres geliebten Mannes vereinigen sollte.
Sie wurde schwanger. Fallmerayer, wie alle verliebten Männer dem Schicksal dankbar wie der Frau, die es erfüllen half, konnte sich vor Freude nicht lassen. Keine Grenzenmehr hatte seine Zärtlichkeit. Unwiderleglich bestätigt sah er seine eigene Persönlichkeit und seine Liebe. Erfüllung wurde ihm jetzt erst. Das Leben hatte noch gar nicht begonnen. In sechs Monaten erwartete man das Kind. Erst in sechs Monaten sollte das Leben beginnen.
Indessen war Fallmerayer fünfundvierzig Jahre alt geworden.
XII
Da erschien eines Tages in der Villa der Walewskis ein Fremder, ein Kaukasier namens Kirdza-Schwili, und teilte der Gräfin mit, daß der Graf Walewski dank einem glücklichen Geschick und wahrscheinlich gerettet durch ein besonders geweihtes, im Kloster von Pokroschni geweihtes Bildnis des heiligen Prokop der Unbill des Krieges wie den Bolschewiken entronnen und auf dem Wege nach Monte Carlo begriffen sei. In ungefähr vierzehn Tagen sei er zu erwarten. Er, der Bote, früherer Ataman Kirdza-Schwili, sei auf dem Wege nach Belgrad, im Auftrag der zaristischen Gegenrevolution. Seines Auftrages habe er sich nunmehr entledigt. Er wolle gehn.
Dem Fremden stellte die Gräfin Walewska Fallmerayer als den getreuen Verwalter des Hauses vor. Während der Anwesenheit des Kaukasiers schwieg Fallmerayer. Er begleitete den Gast ein Stück Weges. Als er zurückkam, fühlte er zum erstenmal in seinem Leben einen scharfen, jähen Stich in der Brust.
Seine Geliebte saß am Fenster und las.
»Du kannst ihn nicht empfangen!« sagte Fallmerayer. »Fliehen wir!«
»Ich werde ihm die ganze Wahrheit sagen«, erwiderte sie. »Wir warten!«
»Du hast ein Kind von mir!« sagte Fallmerayer, »eine unmögliche Situation.«
»Du bleibst hier, bis er kommt! Ich kenne ihn! Er wird alles verstehn!« antwortete die Frau.
Sie sprachen seit dieser Stunde nicht mehr über den Grafen Walewski. Sie warteten.
Sie warteten, bis eines Tages eine Depesche von ihm eintraf. An einem Abend kam er. Sie holten ihn beide von der Bahn ab.
Zwei Schaffner hoben ihn aus dem Waggon, und ein Gepäckträger brachte einen Rollstuhl herbei. Man setzte ihn in den Rollstuhl. Er hielt sein gelbes, knochiges, gestrecktes Angesicht seiner Frau entgegen, sie beugte sich über ihn und küßte ihn. Mit langen, blaugefrorenen, knöchernen Händen versuchte er, immer wieder umsonst, zwei braune Decken über seine Beine zu ziehen. Fallmerayer half ihm.
Fallmerayer sah das Angesicht des Grafen, ein längliches, gelbes, knöchernes Angesicht, mit scharfer Nase, hellen Augen, schmalem Mund, darüber einen herabhängenden schwarzen Schnurrbart. Man rollte den Grafen wie eines der vielen Gepäckstücke den Perron entlang. Seine Frau ging hinter dem Wagen her, Fallmerayer voran.
Man mußte ihn – Fallmerayer und der Chauffeur – ins Auto heben. Der Rollwagen wurde auf das Dach des Autos verladen.
Man mußte ihn in die Villa hineintragen. Fallmerayer hielt den Kopf und die Schultern, der Diener die Füße.
»Ich bin hungrig«, sagte der Graf Walewski.
Als man den Tisch richtete, erwies es sich, daß Walewski nicht allein essen konnte. Seine Frau mußte ihn füttern. Und als, nach einem grausam schweigenden Mahl, die Stunde des Schlafs nahte, sagte der Graf:
»Ich bin schläfrig. Legt mich ins Bett.«
Die Gräfin Walewska, der Diener und Fallmerayer trugenden Grafen in sein Zimmer im ersten Stock, wo man ein Bett bereitet hatte.
»Gute Nacht!« sagte Fallmerayer. Er sah noch, wie seine Geliebte die Kissen zurechtrückte und sich an den Rand des Bettes setzte.
XIII
Hierauf reiste Fallmerayer ab; man hat nie mehr etwas von ihm gehört.
T RIUMPH DER S CHÖNHEIT
Novelle
I
Ich halte viel von der Menschenkenntnis meines alten Freundes Doktor Skowronnek. Seit mehr als fünfundzwanzig Jahren ist er Arzt in einem berühmten Kurort für Frauen, wo die wundertätigen Quellen Gebärmutterleiden, Unfruchtbarkeit und Hysterie heilen sollen. Mein Freund, der Doktor Skowronnek, versichert es jedenfalls. Immerhin spricht er fast mit der gleichen Überzeugung von der wunderbaren, wenn auch leichter zu erklärenden Wirkung, die eine erhebliche Anzahl junger, kräftiger und liebesdurstiger Männer auf die trostbedürftigen Patientinnen des Kurorts in jeder Saison
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