Die Herrin der Flammen
breiten Schultern und streichelte sanft ihr Haar. Latilla rührte sich unruhig im Fieberschlaf, dann lag sie wieder still. Ihr Gesichtchen war tief gerötet, und ihm schien, daß ihre Backenknochen sich stärker abzeichneten, so daß er den Schädel unter der Haut sah. Sein Arm verkrampfte sich ruckhaft, und Gilla drückte das Gesicht an seine Brust.
»Du hattest recht wegen des Einhorns«, sagte er leise. »Aber wir konnten es loswerden. Wir werden auch eine Möglichkeit finden, damit fertig zu werden.«
Gilla richtete sich auf und blickte ihn an, ihre Augen glänzten von ungeweinten Tränen. »O du komischer Kerl! Du bringst es fertig, daß ich mich jetzt all der Jahre schäme, in denen ich mir eingebildet hatte, ich sei die einzige, die etwas zu verzeihen hat…« Sie holte tief Atem und stemmte sich auf die Füße.
»Ja, wir werden etwas unternehmen! Aber zuerst wollen wir uns waschen und einen Bissen essen.« Der Boden erzitterte leicht, als sie zur Tür schritt und dem Mädchen rief, das sie bedient hatte.
Nach dem Essen fühlte sich Lalo ein wenig besser. In’ der Ferne vermischte der dröhnende Schlag der Tempeltrommeln sich mit dem bedrohlichen Brüllen des Mobs. Myrtis’ Mädchen erzählten, daß der Hohepriester Ils’ sich einverstanden erklärt hatte, Dyareela bei Sonnenuntergang ein Opfer darzubringen. Man hoffte, daß Stierblut die Göttin und den Mob besänftigen würde. Wenn nicht, könnte es leicht sein, daß nicht einmal die vereinten Kräfte von Stiefsöhnen und 3. Kommando zu verhindern vermochten, daß kaiserliches Blut dort strömte, wo zuvor Stierblut geflossen war; und bei einem solchen Frevel würde der Kaiser kaum bis zum neuen Jahr warten, ehe er ›befriedete‹, was von der Stadt übrig war.
Lalo setzte sich an seinen Arbeitstisch und betrachtete die bunten Bilder der Karten. Bei seinem körperlichen und geistigen Zustand in der vergangenen Nacht war es ein Wunder, daß sie ihm überhaupt gelungen waren. Aber die Vision der Seherin war durch seine Hände geströmt, und er wußte, daß diese Karten ihren früheren künstlerisch weit überlegen waren. Er unterdrückte den Stolz, den dieser Gedanke in ihm aufwallen ließ. Er konnte sich nicht erinnern, sie gemalt zu haben – folglich stand nicht ihm ein Lob zu, sondern der Kraft, die seine Hand geführt hatte. Und Schönheit wäre unbedeutend, wenn sie die Karten nicht benutzen könnten, um den Schaden zu beheben, den sie angerichtet hatten.
»Ich habe sie zu lesen versucht, während ihr beide geschlafen habt«, gestand Illyra, nachdem das Mädchen das Geschirr abgeräumt hatte. »Es ist hoffnungslos, Gilla. Die Karten kehrten immer wieder zu dem Muster zurück, zu dem wir sie legten.«
»Dann müssen wir etwas anderes versuchen.« Gilla nickte entschlossen.
»Legt sie zu einem anderen Muster auf«, riet Lalo. »Diesmal zu einem heilenden.«
»Das habe ich ja«, entgegnete die S’danzo hilflos. »Aber es steckte keine Kraft in ihm. Das konnte ich spüren.«
Sie versuchten es wieder, dann noch einmal, doch Illyra hatte sich leider nicht getäuscht. Die Karten waren nichts weiter als hübsche Bilder, die ein Muster auf der Tischdecke formten. Die bunten Farben leuchteten spöttisch in der grellen Nachmittagssonne.
Illyra tupfte Latillas Gesicht und Brust mit einem nassen Schwamm ab. Lalo seufzte und hob das Päckchen wieder ab. Die oberste Karte war nun das Tor. In den Schlußstein des Torbogens war ein Symbol eingemeißelt, dessen Bedeutung nicht einmal Illyra kannte. Durch das Tor vermochte man üppiges Grün zu sehen, ein Garten vielleicht. Lalo ließ den Blick schweifen, während er verzweifelt überlegte, was er sonst tun könnte. Grün vibrierte vor seinem inneren Auge, und plötzlich wußte er, daß es ihm vertraut war, aber nicht, woher.
Er blinzelte, betrachtete die Karte aufs neue und rieb sich die Augen. Mit normalem Blick vermochte er nichts zu erkennen, aber da war etwas gewesen… Gilla beugte sich vor, um Wasser in sein Glas nachzuschenken, und die Bewegung ihres Arms löste die plötzliche Erinnerung an einen weißen Arm aus, der Caronnewein aus einer Kristallkaraffe in einen goldenen Kelch goß – es war der Arm Eshis im Reich der Götter gewesen.
»Lalo, was hast du?« fragte Gilla.
»Ich bin mir nicht sicher«, sagte er bedächtig. »Aber ich glaube, ich weiß jetzt, wo ich eine Lösung finden könnte.«
»Ihr dürft nicht hinausgehen!« rief Illyra erschrocken. »Hört doch!« Sogar hier in der Straße
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