Die Herrin der Flammen
Nicht um meinetwillen, sondern um unseres Volkes…«
»Und um meines Kindes!« vernahm er Gillas Stimme.
Ein Windstoß pfiff an ihnen vorbei und riß ein Blatt von einer Eiche. Lalo beobachtete fasziniert, wie es herunterwirbelte und schließlich in Gillas Ausschnitt zu liegen kam. Da ertönte eine neue Stimme hinter ihnen.
»Warum fleht ihr Ils und Shipri an? Dies ist das Antlitz, zu dem die Freistätter nunmehr beten!«
Lalo wirbelte herum. Er zuckte heftig zusammen, als er sah, wer auf ihre Anrufung erschienen war, dann stolperte er über seine eigenen Füße, während er versuchte, sich schützend vor Gilla zu stellen. Aber sie war schon immer kräftig und standfest gewesen, und sie faßte nach seinem Arm und blieb neben ihm.
Die Gestalt, die gesprochen hatte, lachte über seine Verwirrung. Lalo starrte sie an und erkannte entsetzt, daß es eine Frau in versengtem Gewand war, von dem bleiche Rauchfähnchen gespenstisch aufstiegen, und daß ihr ebenfalls versengtes Haar sich aufstellte und vom Wind zu Flammen angefacht wurde. Ihr Gesicht glühte wie eine Laterne, als käme das Feuer, das sie verbrannte, aus ihrem Innern, und die Züge waren zur dämonischen Maske verzerrt.
»Dyareela!« flüsterte er verstört.
Die Göttin dankte ihm mit einem furchterregenden Lächeln. »Stimmt, dies ist einer der Namen, den die Menschen mir geben, wenn sie zu mir beten. Doch du warst es, die mich als erstes rief, Tochter.« Sie winkte Gilla zu. »Wie soll ich dich belohnen?«
»Heb dich hinweg, Dämonin!« zischte Gilla vor Abscheu.
Dyareela lachte. »Du verstehst nicht! Ich komme weder, noch gehe ich – ich bin! Nur mein Gesicht ändert sich…«
»Dann ändere es wieder!« stöhnte Lalo.
»Drei Hochzeiten wurden versprochen, eine davon eine kaiserliche, um das Land wiederherzustellen! Ich wäre zu ihnen als Göttin des Liebesfeuers gekommen! Aber Freistatt wollte mich anders sehen!« Der Wind wirbelte um sie alle, und wenn die fallenden Blätter das Haar der Göttin berührten, fingen sie Feuer.
»Zeig dein schönes Gesicht, Göttin, bitte, zeig dein schönes Gesicht für uns!« Tränen glänzten in Gillas Augen und schwangen in ihrer Stimme.
»Tochter, an diesem Ort bin ich nur ein Scheinbild, so wie ihr beide nur ein Traum seid. Eure Worte haben hier keine Macht über mich. Wenn ich euch segnen soll, müßt ihr mich in der Welt der Menschen rufen!«
Der Himmel schien sich zu verdunkeln, und das einzige, was Lalo zu sehen vermochte, war die Göttin, die wie eine Dämonenlaterne beim Totenfest leuchtete.
»Wir haben es doch versucht!« rief Gilla verzweifelt. »Aber die Karten hatten keine Kraft!«
»Die Karten hatten nie Kraft, sie lenkten nur die eure. Sorgt dafür, daß die Große Hochzeit in Freistatt wie versprochen stattfindet, dann zeige ich euch wieder mein freundliches Gesicht!«
Wind heulte um sie und Dunkelheit hüllte sie ein, nur von den brennenden Blättern gebrochen, die aufstoben und die kahle Nacht mit Sternen erfüllten. Plötzlich verschwand alles: die Göttin, der Eichenhain, sogar der feste Boden unter ihren Füßen. Vom Wind gepeitscht und herumgewirbelt vergaß Lalo, wer er war und woher er gekommen war, und als er das Bewußtsein verlor, war das letzte, was er spürte, der feste Druck von Gillas Hand.
Gilla fiel durch einen langen finsteren Schacht zurück in ihren Körper. Eine Ewigkeit später versuchte sie, sich zu rühren. Sie war steif und schwer, während sie sich zuvor so leicht bewegt hatte wie… Sie stöhnte und öffnete die Augen.
»Den Göttern sei Dank!« rief Illyra. Im flackernden Lampenlicht sah sie verhärmt aus.
»Ich dachte, du glaubst nicht an sie«, murmelte Gilla. Sie hielt immer noch Lalos Hand. Behutsam öffnete sie die Finger und legte die Hand zur anderen in den Schoß. Lalo war noch bewußtlos, aber er atmete bereits schneller. Gleich wird er aufwachen, dachte sie, was dann?
Die S’danzo rieb sich die Stirn. »Im Augenblick glaube ich an alles, was uns helfen könnte. Ich habe dem Umzug gelauscht – er hat die Stadt umrundet und dürfte inzwischen wieder bei den Tempelruinen angelangt sein. Wir haben nicht mehr viel Zeit.« Sie hob den Kopf und blickte Gilla eindringlich an. »Wird es uns helfen? Ihr wart beide plötzlich erloschen, wie ausgeblasene Kerzen. Habt ihr geschlafen, oder seid ihr wirklich an einem anderen Ort gewesen?«
Lalo schauderte und öffnete die Augen. »Wir sind dort gewesen. Wir haben die Göttin gesehen – eine Göttin…«
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