Die Herrin der Kelten
angenommen hatte.
Irgendwann im Laufe des dritten Tages verlor die Zeit ihre Bedeutung. Die Beschaffenheit des Lichts hatte sich seit der Morgendämmerung nicht mehr verändert. Ohne die Sonne und die Schatten, die diese warf, hatte Breaca kein Maß mehr, nach dem sie den Zeitraum zwischen den Augenblicken hätte beurteilen können. Sie begann die Regentropfen zu zählen, die von dem Eingang ihres Unterschlupfs herunterfielen, bis der Regen so heftig herabprasselte, dass die Tropfen zu einem Strom zusammenflossen und sich nicht mehr zählen ließen. Breaca horchte auf die Geräusche des Waldes, auf die gedämpften Rufe der Dohlen, Elstern und Krähen und die schrillen Schreie der kämpfenden Eichelhäher. Doch noch während sie ihnen zuhörte, verließen sie sie auch schon wieder einer nach dem anderen, und der Wald verstummte erneut. Um ein wenig Trost zu finden, wandte sie sich dem Fluss zu, doch dieser war durch den Herbstregen, die absterbenden Blätter und den Schlamm so stark angeschwollen, dass er bloß noch träge und still dahinfloss. Seine einzige Gabe an sie war der Nebel, der so dicht wie der Rauch eines schlecht brennenden Feuers über dem Wasser lag. Am Horizont erhob sich gedrungen und finster der Grabhügel der Ahnen, bar jeglicher Magie, die er im Übrigen schon seit dem Tag, als Airmid sie das erste Mal an diesen Ort geführt hatte, vermissen ließ. Breaca betrachtete ihn unendlich lange, sehnsüchtig und voller Frustration, betete zu jedem einzelnen der Götter, dass er ihr doch endlich ein Zeichen senden möge, und sah doch nichts.
Der Tag ging in den Abend über und stahl auch noch den letzten Rest von Licht. Ihr Magen war so leer, dass er schmerzte, und ihr Speichel trocknete ein, so dass sie darum zu beten begann, dass der Fluss über die Ufer treten möge, einfach nur, damit sie ihren quälenden Durst löschen konnte. In ihrer Verzweiflung fiel ihr etwas ein, was Airmid sie einmal gelehrt hatte, und sie setzte sich still hin und zählte ihre Atemzüge und Herzschläge, ließ ihren eigenen Körper den Rhythmus der Zeit bestimmen, damit sie wenigstens wissen würde, dass diese nicht völlig stehen geblieben war. Die Welt löste sich zu einem verschwommenen Gemisch unterschiedlicher Grauschattierungen auf, und ihr Leben und das Rauschen des Blutes in ihren Ohren flossen gleichsam dahin.
Am Ende waren es Breacas körperliche Bedürfnisse, die sie unter ihrem Schutzdach hervorkommen ließen. Seit dem ersten Anzeichen für ihre Monatsblutung hatte sie weder Wasser noch Nahrung zu sich genommen und bald geglaubt, nun überhaupt keine Flüssigkeit oder Nahrungsreste mehr in sich zu haben. Doch auch darin irrte sie sich. Sie wartete so lange, bis der Druck in ihrer Blase nicht mehr auszuhalten war, dann schüttelte sie das Bärenfell ab und entfernte sich von den ausladenden Wurzeln des Baums. Als sie aufrecht stand, ließ der Druck etwas nach, und sie nahm sich Zeit, ihren Blick über die Utensilien für die Zeremonie schweifen zu lassen. Man durfte die Traumwerkzeuge nicht unbewacht lassen, und deshalb wanderte Breaca um die Überreste des erloschenen Feuers herum und sammelte sie auf.
Im Westen, unmittelbar neben ihrem Unterschlupf, lag der Ort des Wassers und der Visionen. Es war Nemains Ort, der der Nacht und allen Frauen heilig war. Er wurde symbolisiert durch Airmids Froschknochen. Im Norden, dem Heim der Erde, der Steine und der Berge hatte sie die Zaunkönigsschwinge von Macha platziert, die schon in Irland und auf Mona gewesen war und die Berge gut kannte. Im Süden war das Feuer zu Hause und die volle Sommersonne, und dort lag der Fuß der gelbäugigen Eule, die die Visionen ihrer Mutter getragen hatte. Im Osten, dem Ort des Windes und der Luft, der Heimat der Adler und des leichtfüßigen Feldhasen, hatte für den überwiegenden Teil des ersten Tages noch nichts gelegen. In ihren Überlegungen während des Sommers hatte Breaca diesen Platz für das Symbol ihrer zukünftigen Vision frei gelassen, damit sie immer einen Rückweg offen hatte, um aus der anderen Welt zurückkehren zu können, und das Bild gleich anschließend auf das leere Fleckchen sandigen Lehmbodens zeichnen konnte, so wie sie einmal einen Frosch für Airmid gezeichnet hatte. Jetzt, in der realen Welt, in der der Erdboden so durchweicht und mit nassen Blättern übersät war, dass Breaca schon eine halbe Ewigkeit gebraucht hatte, um den Platz überhaupt erst einmal so weit zu säubern, dass sie auch nur ein Feuer
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