Die Herrin der Kelten
besitzen, diesem Gefühl zu folgen. Er gab sich Mühe, seine Stimme Theophilus’ zuliebe warm klingen zu lassen. »Danke, aber dies ist meine Privatangelegenheit. Sie geht die beiden nichts an und auch Euch nicht. Geht jetzt wieder zum Krankenrevier zurück und sorgt dafür, dass Ihr von denjenigen gesehen werdet, deren Wort zählen wird, falls man eine Aussage von ihnen verlangt. Was immer heute Nacht auch passiert, Ihr habt nichts damit zu tun. Ihr seid sehr gut zu mir gewesen. Ich bin Euch dafür dankbar.«
»Ach ja?« Der Arzt wandte sich um, und der Schatten ließ ihn wieder so alt aussehen, wie er wirklich war. Nur seine Augen waren unverändert, erfüllt von der Weisheit eines langen Lebens und von Kummer. »Dann pass gut auf dich auf. Ich möchte keinen Patienten an die Folterknechte verlieren, nur weil er eine falsche Abzweigung genommen hat. Und vergiss eines nicht: Was immer Gaius auch sonst sein mag, er ist ein guter Menschenkenner. Er stellt diejenigen um sich herum gern auf die Probe, um ihre schwachen Seiten zu finden. Hüte dich davor, ihm deine zu zeigen.«
»Die kennt er bereits: Amminios und der Hengst.«
»Dann handele nicht so, wie er es von dir erwarten würde. Du kannst dir sicher sein, dass er sich genau darauf eingestellt haben wird.«
Iccius kehrte ganz plötzlich wieder zu Bán zurück, als dieser gerade an dem letzten Zelt vorbeiging. Der Junge rannte vor ihm her zur Brücke, so fröhlich hüpfend, Rad schlagend und lachend, wie er es in den wenigen Tagen zu tun begonnen hatte, die zwischen seiner Befreiung von Amminios und seiner erneuten Gefangennahme gelegen hatten. Der Fluss, der an das Armeelager grenzte, war breit, aber er war nicht der Rhein; er saugte weder die Gemüter aus, noch bildete er eine Schranke zwischen Zivilisation und Barbarei. Dieser Fluss bildete nur insofern eine Grenze, als dass er die Zelte von den Pferdeställen trennte. Durch einen göttlichen Zufall reichte das Licht des Leuchtturms nur bis zu seinem Ufer und nicht weiter. Bán wanderte über die Brücke in die Dunkelheit hinein. Der Fluss strömte unter ihm dahin, verträumt plätschernd, das Rauschen des Wassers nur gerade laut genug, um das Geräusch seiner Schritte zu übertönen. Er kam sich so leicht wie Distelwolle vor und fühlte sich innerlich vollkommen hohl und leer. Er musste sich in den Handrücken kneifen, um sich zu vergewissern, dass er nicht schon in die Welt der Geister hinübergegangen war. Dann blickte er auf, und mit seiner Gewissheit war es abrupt vorbei. Eburovic wartete am Ende der Brücke auf ihn; es war das erste Mal seit der Schlacht, in der er ums Leben gekommen war, dass er Bán erschien. Er trug seinen Kampfspeer und den Bärinnen-Schild, und sein Lächeln genügte, um die Welt still stehen zu lassen. Er nahm seinen Platz auf Báns rechter Seite ein, den Platz des älteren Kriegers. Iccius kam zu ihm und stellte sich links neben ihn. An der Schulter des Jungen hing ein neuer Schild, ein Schild aus weißem Bullenleder, auf dessen Vorderseite das schwarz umrissene Bild des Hengstes prangte. Bán fühlte seinen Atem zischend zwischen seinen Zähnen hindurchströmen, und nur daran erkannte er, dass er noch am Leben war. Jetzt war ihm klar, warum er derart lange überlebt hatte, und er war über alle Maßen dankbar dafür, dass die Götter ihm so viel gewährt hatten. Er bückte sich und nahm einen Stein von einem Haufen am Kopf der Brücke. Es war zwar nicht die Waffe eines Kriegers, aber es genügte. Bán machte einen Schritt vorwärts und fühlte, wie sich die Schatten seiner Angehörigen mit ihm bewegten. »In Ordnung, gehen wir!«, sagte er.
Die Pferde standen in langen Reihen in Stallboxen, die eine Rückwand aus Weidengeflecht hatten und zur Hälfte überdacht waren, und hatten massive hölzerne Futtertröge mit frischem Heu vor sich, um die Nacht über daran zu rupfen. Wie im Legionslager, wo die Männer getrennt nach Truppenzugehörigkeit untergebracht waren, so wurden auch in den Ställen die Kavalleriepferde getrennt von den Pferden der Kohorten gehalten, und diese wiederum waren getrennt von den Packpferden untergebracht. Zwei Legionen waren außerhalb von Gesoriacum zusammengekommen: Die Vierzehnte, die mit Gaius marschiert war, und die Zweite, die von Argentorate aus dazugestoßen war. Die beiden Legionen hatten in den Tagen vor ihrer Ankunft im Hafen Übungsmanöver entlang der Küste abgehalten, um ihre Kampfbereitschaft zu demonstrieren. Hinzu kamen noch vier
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