Die Hexengraefin
Herrin, den Vorschlag zu machen, einen Knecht nach Reschenbach zu schicken, um nachzufragen, ob Helene etwa krank geworden sei.
»Ja, ja, natürlich. Warum ist mir das längst nicht selber eingefallen?«, rief Fräulein Adelheid und beauftragte umgehend den Knappen Wilhelm von Kirchhofen, einen hübschen, jungen Burschen aus niedrigem Adel, sofort loszureiten und sich zu erkundigen. Das Wams für Graf Ferfried, das der Vater als Abschiedsgeschenk seiner Tochter zum Treffen mit Kurfürst Maximilian sowie anderen Fürsten und Prälaten in Regensburg mitnehmen sollte, legte die junge Gräfin zur Seite – es war sinnlos: Sie würde das gute Stück nur verderben.
Da war es doch viel klüger, sie arbeitete weiter an ihrem Kräuterbuch und kam damit ihrem ehrgeizigen Ziel, sämtliche Heilpflanzen und -kräuter ihrer Heimat zu zeichnen, und zwar äußerst exakt mit Blättern, Blüten, Stängeln und Wurzeln, sowie deren Anwendung und Wirkungsweise genauestens zu beschreiben.
Damit hatte sich Adelheid eine gewaltige Aufgabe gestellt. Als der Graf ihr davon abriet, hatte sie selbstbewusst geantwortet: »Seit dem Wirken Hildegards von Bingen ist allzu viel Zeit vergangen, Vater. Manche Erkenntnisse sind veraltet oder unterlagen einem Irrtum. Jemand muss das endlich wieder in die Hand nehmen und berichtigen.«
Kaum hatte sich Adelheid gesetzt und wollte damit beginnen, die bereits vorskizzierten Samen eines Stechapfels mit der Feder in Tusche nachzuziehen, fiel ihr auf, wie groß heute die Unruhe im Schloss war.
Schon seit dem frühen Morgen herrschte ein ständiges Kommen und Gehen in Haus und Hof.
Nicht nur ihr Vater, auch sein dreiundzwanzig Jahre alter Sohn und Erbe, Hasso von Ruhfeld, würden noch heute am frühen Abend nach Regensburg aufbrechen.
Es war Hochsommer und lange hell, deshalb konnten sie eine gute Strecke zu Pferd zurücklegen, ehe die Dunkelheit sie zwang, bei einem befreundeten Adeligen oder in einem Gasthaus Quartier zu nehmen. Beide Männer würden eine ganze Weile dem Schloss in der Ortenau fernbleiben; so war einiges an Reisegepäck mitzunehmen.
Graf Ferfried würde nicht nur mit dem bayerischen Kurfürsten in Regensburg, sondern mit vielen anderen Großen des deutschen Reiches zusammentreffen und musste daher dementsprechend prunkvoll auftreten. Hasso hingegen sollte sich zum ersten Mal bei Verhandlungen mit dem Bankhaus Fugger in Augsburg bewähren.
Jeder Adelige brauchte einen Geldgeber – selbst der Kaiser. Im Reich war außerdem bekannt, dass der durch eine Heirat sehr reich gewordene Albrecht von Wallenstein einen Bankier in den Niederlanden hatte, der dem Friedländer gelegentlich große Summen lieh.
Das teilweise baufällige Schloss Ruhfeld bedurfte dringend einer belebenden Finanzspritze, wollte der Graf nicht Gefahr laufen, dass der nächste Herbststurm ihm das Dach abdeckte.
Ferfried wollte dieses Mal seinem Filius die Verhandlungen mit den Herren Fugger überlassen und hoffte dabei, dass der Junge sich nicht allzu sehr beim Festlegen der Konditionen über den Tisch ziehen ließ.
Der junge Graf war ebenfalls enttäuscht, die hübsche achtzehnjährige, gertenschlanke und strohblonde Helene vor seiner Reise nach Augsburg nicht mehr zu sehen – wenn auch aus ganz anderen Gründen als seine Schwester. Er hatte relativ schnell sein Reisegepäck zusammengestellt. Er würde in Begleitung zweier junger Adeliger – Gero von Wallhausen und Hartwig von Bohlen -, etlicher Knappen sowie sechs Knechten in die Freie Reichsstadt Augsburg reiten. Alle Männer waren bis an die Zähne bewaffnet, denn ohne Eskorte wäre eine Reise äußerst riskant gewesen, weil es nur so von Räubern und Mordbrennern wimmelte. Deserteure zogen marodierend durch die Lande, ebenso vertriebene und heimatlose Gesellen wie etwa Bauern, deren Gehöfte niedergebrannt worden waren. Genügend Gesindel lauerte harmlosen Reisenden auf. Und das waren nicht immer nur arme Teufel.
Der Spruch: »Reiten und rauben, das ist keine Schande, das tun die Besten im ganzen Lande«, zeigte überdeutlich, dass auch Herren von Stand sich nicht schämten, als Strauchdiebe die Gegend unsicher zu machen.
Durch den bereits zu lange währenden Unfrieden waren die Sitten unglaublich verroht und manch ein Überfallener wurde wegen ein paar Pfennigen oder eines Paars lederner Stiefel massakriert.
Das war die Kehrseite dieses Krieges, dessen Sinn manche schon lange anzweifelten, obwohl weiß Gott noch kein Ende abzusehen war. Im Gegenteil: Alles
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