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Die Hexengraefin

Titel: Die Hexengraefin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karla Weigand
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KAPITEL 1
    FERFRIED, GRAF VON RUHFELD, war deprimiert und angewidert zugleich. Er saß in seinem Studierzimmer in einem Eckturm seines Schlosses in der Landvogtei Ortenau und starrte auf das Schreiben, das ihm ein Bote heute Nachmittag gebracht hatte.
    Der einundfünfzig Jahre alte Edelmann aus uraltem, süddeutschem Geschlecht anerkannte nur zähneknirschend die Oberherrschaft des Straßburger Bischofs, welcher ein Bruder Kaiser Ferdinands war.
    Vor gut einhundert Jahren hatte das folgenschwere Versehen eines Ministerialen Kaiser Maximilians einen von Ferfrieds Vorfahren, – obwohl er zum Grafen aufgestiegen war – dennoch im Status eines landsässigen Adligen und damit als Untertan der Straßburger Bischöfe belassen, zumindest was das Recht zur Aburteilung bei Landesverrat, Ketzerei und Hexerei anbetraf; die niedere Gerichtsbarkeit indessen hatte Herr Ferfried inne.
    Sein Ahnherr hatte aus Unachtsamkeit nicht umgehend gegen diese Schlamperei protestiert, und so waren die Folgen bis heute zu spüren: In der Regel war nämlich ein Graf als Angehöriger des Hochadels keinem anderen Herrn unterstellt.
    Der Ruhfelder bemühte sich immer mal wieder, die hohen Herren in Wien auf den Irrtum aufmerksam zu machen, aber Wien war weit und die Kanzlisten gar sehr beschäftigte Leute …
    Der Graf hatte sich von seinem Kammerdiener Raimund den Abendimbiss sowie eine Kanne mit Wein bringen lassen.
    Er brachte es nicht über sich, wie gewohnt, diese Mahlzeit unten im großen Saal in Gesellschaft von Sohn und Tochter und der Schar von Edelfreien, die sein Gefolge bildeten, bei Scherz und munterem Geplauder einzunehmen. Genauso wenig wie er imstande war, über den Inhalt dieses Briefes mit einem seiner Kinder zu sprechen – noch nicht.
    Raimund, seit beinahe dreißig Jahren sein treuer Leibdiener, hatte ihm gerade zum zweiten Mal den Silberbecher mit Rotwein gefüllt, und Ferfried setzte den Pokal an. Doch ohne zu trinken stellte er ihn wieder ab und griff erneut nach dem entsetzlichen Schreiben.
    Konnte denn wahr sein, was ihm sein langjähriger Freund, der Magdeburger Ratsherr und Naturforscher Otto Guericke, der vom Alter her sein Sohn sein konnte, mitteilte?
    »Da ist nichts als Morden, Brennen, Plündern, Peinigen, Prügeln gewesen. Mit den Weibern, Jungfrauen, Töchtern und Mägden aber ist es mit vielen übel abgelaufen; sind teils geschändet, teils zu Konkubinen gehalten worden.«
    Ferfried lief es eiskalt über den Rücken.
    Es war in der Tat ein Tag gewesen, der die Welt verändert hatte: Am 20. Mai 1631 hatte eine entfesselte Soldateska das protestantische Magdeburg »für die katholische Sache« in Schutt und Asche gelegt. Dabei war es zu einem Massaker gekommen, das Abscheu in Europa auslöste.
    Zwanzig Zeitungen, einundvierzig illustrierte Flugblätter und zweihundert Pamphlete würden in der Folgezeit die Schreckensnachricht über alle Länder verbreiten. Das Vorgefallene war so entsetzlich, dass unsere Sprache ein eigenes Verb dafür erfand. »Magdeburgisieren« sollte ab diesem Zeitpunkt zur Metapher des Grauens werden. Jedermann konnte sich ausmalen, dass sich solche Gräueltaten jederzeit und allerorts wiederholen konnten, ja sogar zwangsweise wiederholen mussten, um Rache zu nehmen für dieses himmelschreiende Unrecht.
    Graf Ferfried las Guerickes Bericht, der sachlich und scheinbar nahezu emotionslos das Inferno schilderte: Von einem Fluss, vom Blut der Massakrierten gerötet, schrieb er, auf dem haufenweise verkohlte und verstümmelte Leichen trieben, von Straßen, die übersät waren mit Leibern, an denen streunende Hunde ihren Hunger stillten, von einem Feuersturm, dessen lodernde Flammen bis zum Himmel aufstiegen und eine herrliche Stadt verschlangen. Und von Kindern wusste der Ratsherr zu berichten, die sich unter den geschändeten und erschlagenen Körpern ihrer Mütter zu verstecken suchten, und von Frauen, die von betrunkenen, entmenschten Soldaten zu Tode missbraucht worden waren, und schließlich von ganzen Familien, die, wahnsinnig vor Angst geworden, Selbstmord begangen hatten.
    Der Erstürmung Magdeburgs, das wusste Graf Ferfried, war eine monatelange Belagerung durch die kaiserlichen Truppen vorausgegangen, denn Magdeburg war die erste Stadt im Reich, die sich mit dem Schwedenkönig Gustav Adolf verbündet hatte, der Deutschland von »der Tyrannei des Katholizismus« hatte befreien wollen.
    Dieser Herrscher aus dem Norden mit der breiten Stirn, der kühnen Adlernase und dem intelligenten Blick

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