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Die Himmelsscheibe 01 - Die Tochter der Himmelsscheibe

Die Himmelsscheibe 01 - Die Tochter der Himmelsscheibe

Titel: Die Himmelsscheibe 01 - Die Tochter der Himmelsscheibe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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einem struppigen Fell sowie einen Umhang, der früher einmal das flauschige Vlies eines Wisents gewesen war. Während seine beiden Kameraden den Umhang jedoch eng um die Schultern geschlungen hatten, als frören sie trotz der anheimelnden Wärme hier drinnen noch immer, war der seine wie eine Decke über seinen Körper ausgebreitet und bis zum Kinn hochgezogen. Das Gesicht des Fremden glänzte vor Schweiß, und Arri konnte seiner Haut ansehen, wie sehr sie glühte.
    »Was ist mit ihm?«, fragte Lea, während sie mit raschen Schritten um das Feuer herumging und sich neben dem Fiebernden auf ein Knie herabsinken ließ. Einer der beiden Männer starrte sie nur finster an, und hätte es irgendeinen Grund für diese Annahme gegeben, Arri hätte geschworen, einen gehörigen Anteil Feindseligkeit in seinem Gesicht zu lesen, doch der andere sagte: »Er war unvorsichtig. Wollte einen Wisent erlegen, aber wir haben ihn gewarnt, der Herde nicht zu nahe zu kommen. Es war ein Bulle dabei. Er wollte nicht hören.«
    Lea bedachte den Mann mit einem kurzen, zweifelnden Stirnrunzeln, dann streckte sie die Hand aus und schlug den zur Decke umgewandelten Umhang über dem Brustkorb des Verletzten mit einem Ruck zurück. Darunter kam ein wenig kunstvoll angelegter Verband aus Blättern zum Vorschein, der fast zur Gänze durchgeblutet war und dem Verletzten das Aussehen eines Buckeligen verlieh. Ohne auch nur einen Moment zu zögern, griff Lea zu und entfernte den Verband.
    Arri sog scharf die Luft zwischen den Zähnen ein, als sie die schreckliche Wunde sah, die darunter zum Vorschein kam. Obwohl sie schon einen halben Tag alt sein musste, blutete sie noch immer, und Arri kam es beinahe wie ein kleines Wunder vor, dass der Mann überhaupt noch lebte. Seine Schulter war schrecklich verstümmelt. Das Schlüsselbein trat in einem offenen Bruch zutage, und unter dem roten, nässenden Fleisch war auch der weiße Knochen seines Schulterblatts zu sehen. Die Wunde verströmte einen schwachen, aber ebenso bezeichnenden Geruch, der Arri verriet, dass der zerschmetterte Knochen und die durchtrennten Muskeln und Adern nicht einmal das Schlimmste waren, was dieser Mann davongetragen hatte.
    »Das war ein Bulle, sagt Ihr?«, fragte Lea.
    Der Mann, der schon einmal geredet hatte, nickte abgehackt. Irgendwie wirkte die Bewegung trotzig. »Wir haben ihn gewarnt«, wiederholte er.
    »Und Euer Freund hätte besser auf Euch gehört«, fügte Lea hinzu. Sie begutachtete die Wunde noch einmal ausgiebig, ohne sie mit den Fingern zu berühren, richtete den Oberkörper dann wieder auf und schüttelte den Kopf. »Ich fürchte, ich kann nichts mehr für ihn tun. Er hat schon zu viel Blut verloren, und die Wunde ist brandig.«
    Der Mann schwieg, doch Targan sagte: »Aber er wäre nicht der Erste, den du rettest. Deine Heilkünste sind überall im Land berühmt.«
    »Hättest du mich eher gerufen, hätte ich vielleicht noch etwas tun können.« Leas Stimme klang sonderbar teilnahmslos. »Jetzt ist es zu spät. Und die Wunde sitzt an einer unglücklichen Stelle. Wäre es ein Arm oder die Hand, hätte er vielleicht noch eine Aussicht zu überleben. Aber so?« Sie schüttelte abermals den Kopf. »Was soll ich tun? Ihm die Schulter abschneiden?«
    »Ich habe euch gleich gesagt, dass sie ihm nicht helfen wird«, mischte sich der andere Mann ein, der bisher kein Wort gesprochen, Lea aber unentwegt und mit wachsender Feindseligkeit gemustert hatte. »Lasst uns lieber zu den Göttern beten und ein Opfer bringen, statt ihren Zorn auf uns alle herabzubeschwören, nur weil wir der fremden Hexe vertrauen.«
    Lea maß den Mann mit einem Blick, den sie ansonsten vielleicht für einen besonders abstoßenden, aber an sich harmlosen Wurm aufgebracht hätte, und reagierte darüber hinaus gar nicht, beugte sich nach einem Moment aber noch einmal über den Fiebernden und unterzog nicht nur seine Schulter, sondern auch den Rest seines Körpers einer aufmerksamen Musterung. Arri tat dasselbe, und es verging nur ein Augenblick, bis ihr auffiel, dass die schreckliche Wunde in der Schulter nicht die einzige war. Dicht unterhalb des Herzens klaffte ein fingerlanger, gebogener Schnitt, der anders als die Schulterwunde nicht mehr blutete, aber ebenfalls tief genug war, dass man an zwei Stellen den weißen Knochen hindurchschimmern sehen konnte, und mindestens drei seiner Finger an der rechten Hand waren gebrochen.
    Erst jetzt fiel ihr auf, dass auch die beiden anderen Männer verletzt waren.

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