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Die Himmelsscheibe 01 - Die Tochter der Himmelsscheibe

Die Himmelsscheibe 01 - Die Tochter der Himmelsscheibe

Titel: Die Himmelsscheibe 01 - Die Tochter der Himmelsscheibe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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verschwiegen hatte, und, wenn sie ehrlich war, allein in diesem Sommer bereits zig andere Begebenheiten, von denen sie wusste, dass ihre Mutter sie alles andere als ruhig und gelassen hinnehmen würde. Wäre sie gleich am Anfang mit der ganzen Wahrheit herausgeplatzt, hätte ihre Mutter ihr vielleicht noch geglaubt, aber nachdem bereits eine Weile verstrichen war, konnte sie gar nicht anders als annehmen, sie hätte sich diese haarsträubenden Geschichten nur ausgedacht, um von ihrem eigenen falschen Verhalten abzulenken und womöglich ihr Mitleid zu wecken. Und vielleicht war das ja noch nicht einmal verkehrt, vielleicht hatte ihr ihre Phantasie ja tatsächlich einen Streich gespielt.
    Auch das war eine Möglichkeit, die Arri immer ernsthafter in Betracht zog, je weiter der Tag fortschritt und je mehr die Erinnerungen an den unheimlichen Fremden mit den sonderbaren Augen verblassten. Möglicherweise hatte sie sich diese Begegnung nur eingebildet. Sie war in Todesangst gewesen, vollkommen in Panik aufgelöst und felsenfest davon überzeugt, im nächsten Augenblick sterben zu müssen. Vielleicht war der Wolf einfach ungeschickt gewesen und hatte sich bei seinem Sprung das Genick gebrochen, und ihre außer Rand und Band geratene Phantasie hatte diesen Fremden einfach erfunden. Schließlich - Geschichten von Kindern, die in gewaltige Gefahr gerieten und im allerletzten Moment von einer geheimnisvollen Macht gerettet wurden, die wie aus dem Nichts erschien und ebenso rasch und spurlos wieder verschwand, hatte sie schon zur Genüge gehört, aber sie wusste eben auch, dass es in den meisten Fällen nur Geschichten waren. Nicht mehr.
    Als sie an diesem Abend einschlief - zum ersten Mal seit sehr, sehr langer Zeit und tatsächlich zum ersten Mal in der Zeit, an die sie sich bewusst zurückerinnern konnte, nicht auf dem Lager neben, sondern in den Armen ihrer Mutter -, nahm sie sich fest vor, ihr spätestens am nächsten Morgen davon zu erzählen, und zuzugeben, warum sie bisher nichts davon gesagt hatte.
    Sie tat es auch am nächsten Morgen nicht. Als sie erwachte - sehr früh, noch vor Sonnenaufgang und mit heftigen Kopfschmerzen, die wieder schlimmer geworden waren -, war sie allein. Ihre Mutter hatte die Hütte offensichtlich schon vor Tagwerden verlassen, was ungewöhnlich war; niemand ging vor Sonnenaufgang aus dem Haus, wenn es nicht wirklich einen triftigen Grund dafür gab. Arri war beunruhigt, war aber noch gleichzeitig viel zu müde, um sich tatsächlich Sorgen zu machen. Als sie später dann aufstand, kitzelte sie ein verirrter Sonnenstrahl bereits an der Nase, und sie beeilte sich, um in ihren Garten zu kommen, den sie in letzter Zeit über Gebühr vernachlässigt hatte. Sie pflanzte hier Kohl, Möhren, Erbsen und verschiedene Sorten von Bohnen und Kräutern an und kämpfte einen Kräfte zehrenden Kampf gegen das Unkraut, das vom Waldrand her alles daran setzte, um ihre Anpflanzungserfolge wieder zunichte zu machen.
    Auf diese Weise verging der gesamte Tag und auch noch ein guter Teil des darauf folgenden. Ihre Mutter erwies sich als so schweigsam und wortkarg, wie Arri es gewohnt war, und sie ging auch ein paar Mal fort, ohne zu erklären, warum oder wohin, und auch, ohne auf Arris entsprechende Fragen zu antworten, die sie nach ihrer Wiederkehr stellte.
    Als ihre Mutter am dritten Tag gegen Abend zurückkam - wieder einmal, ohne dass sie gesagt hatte, wohin sie ging oder warum -, stand Arri auf und eilte ihr entgegen, sobald sie ihre Schritte draußen hörte. Kurz bevor sie die Tür erreichte, blieb sie jedoch stehen, denn sie begriff, dass ihre Mutter nicht allein war. Sie konnte den vertrauten Rhythmus ihrer Schritte erkennen und ihre Stimme hören, doch dann auch noch eine zweite, männliche Stimme, und noch bevor Arri sich umdrehte und zum Guckloch zurückwich, um einem verstohlenen Blick durch das zurückgezogene Biberfell zu werfen, wusste sie, wer es war.
    Und trotzdem verfinsterte sich ihr Gesicht, als sie Rahn erkannte.
    Es war nicht einmal die Tatsache allein, dass ausgerechnet Rahn ihre Mutter begleitete. Niemand aus dem Dorf kam hierher, wenn er nicht ihrer Hilfe bedurfte oder es irgendeinen anderen wirklich wichtigen Grund gab, und solange sich Arri zurückerinnern konnte, war fast immer sie es gewesen, die neben ihrer Mutter den steil abfallenden Weg vom Dorf herabging. Sie verspürte ein kurzes, aber eindringliches Gefühl einer fast schon lächerlichen Eifersucht. Was ihren Zorn noch schürte

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