Liebe auf eigene Gefahr Roman
ERSTES KAPITEL
22. Dezember 2005
»Er ist hier.«
»Laura?«, frage ich verwirrt ins Telefon, die Stimme noch kratzig vom Schlaf.
»Kate.«
»Ja«, murmele ich, während mein Kopf zurücksinkt und den Hörer tiefer ins Kissen drückt.
» Er ist hier« , wiederholt sie. »In Croton.«
Mit aufgerissenen Augen setze ich mich auf, als mir endlich klar wird, was sie gesagt hat.
»Bist du jetzt wach?«
»Ja.« Ich schiele zum Nachttisch und strecke mich, um über den Bücherstapel blicken zu können. Die Leuchtziffern des Weckers zeigen 4.43 Uhr. »Wie …«
»Mick musste sich übergeben – irgendeine Art von Magendarmgrippe-Schrägstrich-Süßigkeitenorgie mit der Babysitterin. Als ich aus dem Badezimmerfenster schaue, ist das Haus seiner Mutter beleuchtet wie Disney World. Ich rufe also im Büro des Sheriffs an, und die bestätigen es. Er ist hier. Er ist hier , Kate.«
Ich werfe die Bettdecke beiseite. »Ich komme.« Nachdem ich das schnurlose Telefon wieder in seine Station gesteckt habe, schwinge ich beide Füße auf den glatten Holzboden meines Schlafzimmers.
Er ist hier – dort, vielmehr. Jake Sharpe. Und natürlich ist es nicht drei Uhr nachmittags an einem Samstag. Natürlich tauchst du mitten in der Nacht wieder auf wie irgendein lichtscheuer Blutsauger.
Mein Adrenalinspiegel steigt.
Ich schnappe mir meine Yogahose vom Stuhl, ziehe sie unter mein kurzes Nachthemd und zerre die kleine schwarze Strickjacke vom Türknauf. Dann öffne ich die Schranktüren, stelle mich auf die Zehenspitzen und komme mit den Fingernägeln gerade weit genug an den Griff meines Koffers, dass ich ihn vom Regalbrett zerren kann, wobei Reiseproben diverser Toilettenartikel auf meinen Kopf regnen und übers Hartholzparkett rollen. Ich beeile mich, die Miniflaschen einzusammeln. Mein seidenes Nachthemd ist feucht von Angstschweiß, wie in einem Albtraum. Nur, dass ich wach bin und Laura endlich die Leuchtrakete im Nachthimmel über den verschneiten Hügeln unserer Heimatstadt gezündet hat.
Außer mir vor Wut, reiße ich Schubladen auf und stopfe Hände voll Unterwäsche, T-Shirts und Pyjamas in den Koffer, während meine Gedanken zu den wirklich wichtigen Gegenständen vorauseilen – Röhrenjeans, Ausgehpulli, Ohrhänger – und natürlich die Absätze, die mich zu einer Größe von ein Meter fünfundsiebzig hinaufkatapultieren. Die beiden Reißverschlussenden stoßen aneinander, und ich schiebe mein Reiseschloss aus Messing durch die Löcher.
Dann schlittere ich den Flur entlang, zwänge die Füße in meine Sneakers, reiße den Trenchcoat vom Haken, öffne die Haustür in die zirpende Stille meiner Vorortstraße und greife in die Hosentasche, um die Schlüssel herauszuholen – Mist, meine Handtasche. Ich wirbele in die dunkle Wohnung zurück und sehe sie auf dem Küchentisch liegen, wo sie sich zwischen den Päckchen ungeschriebener Weihnachtskarten, den Geschenkpapierrollen und meinem Laptop versteckt. Nein, den brauche ich nicht, ich nehme nur die Mappe mit und lese sie im Flugzeug. Danach könnte ich allerdings mit dem Bericht anfangen – und dann bräuchte ich den Laptop. Ich nehme ihn doch mit. Also versuche ich,
ihn aus der Docking-Station zu ziehen, aber meine Finger fummeln ergebnislos daran herum. Als ich den Lichtschalter betätige, erschrecke ich vor der grellen Helligkeit. Oh, schon viel besser, okay, Licht hilft eindeutig. Zeit für einen Realitätscheck. Ich registriere mein Spiegelbild im Küchenfenster: vom Schlaf zerknittertes Gesicht, vom Schlafmangel geschwollene Augen, zerzauste braune Haare, weil ich versehentlich mit Haargummi eingenickt bin.
Das ist doch Wahnsinn.
Ich knipse das Licht wieder aus, schließe die Haustür, schleiche ins Schlafzimmer zurück, lasse mich aufs Bett fallen und ziehe die noch warme Bettdecke über mich. Dann lasse ich die Schlüssel aus der Hand gleiten und konzentriere meine Willenskraft darauf, das Adrenalin zu verdrängen und die friedliche, weltentrückte Ruhe wieder herzustellen, die mich noch vor wenigen Augenblicken umhüllt hat.
Schlaf, Kate, schlaf wieder ein … Du hast in letzter Zeit pausenlos gearbeitet – die Konferenz, die Meetings, der Zweiundvierzig-Stunden-Trip nach Argentinien. Du konntest an nichts anderes denken als an dieses Bett. Fühlst du dich nicht wohl? Bist du nicht entspannt? Bist du etwa nicht zufrieden mit deinem Leben? Mit deinem Bett? Ist es nicht schön, erwachsen zu sein … im eigenen Bett schlafen zu können … in der eigenen
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