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Die historischen Romane

Die historischen Romane

Titel: Die historischen Romane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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es bestimmt war, das irdische Jerusalem, das er nun nie mehr erreichen sollte, im himmlischen Jerusalem zu finden, der Malteserritter, der nun für immer auf die ersehnte Insel Escondida verzichten musste, der Doktor Byrd mit seinen Jüngern sowie auch – durch eine barmherzige Natur endlich den Bemühungen der medizinischen Kunst entzogen – jener arme Hund mit der ewig schwärenden Wunde, wovon ich freilich noch nicht zu sprechen Gelegenheit hatte, da Roberto erst später darüber schreiben wird.
    Insgesamt aber, denke ich, hatten der Traum und der Sturm den Schlaf Robertos genügend aufgewühlt, um ihn auf eine sehr kurze Zeit zu beschränken, der ein erregter und kampflustiger Wachzustand gefolgt sein muss. Jedenfalls hatte Roberto dann in der Erwägung, dass es draußen Tag war, ermuntert durch die Tatsache, dass wenig Licht durch die trüben Fenster des Achterkastells eindrang, und im Vertrauen darauf, dass er über eine innere Treppe ins Unterdeck gelangen würde, neuen Mut gefasst, hatte die Waffen genommen und war mit verwegener Bangigkeit darangegangen, den Ursprung jener nächtlichen Geräusche zu erkunden.
     
    Oder vielmehr, er war noch nicht gleich gegangen. Ich bitte um Vergebung, aber es ist Roberto, der sich in seinen Briefen an die Signora widerspricht – ein Zeichen dafür, dass er nicht säuberlich der Reihe nach berichtet, was ihm widerfahren ist, sondern den Brief wie eine Erzählung zu schreiben versucht oder eher wie eine Kladde, eine Materialsammlung für das, was später Brief und Erzählung werden könnte. Jedenfalls schreibt er, ohne sich schon zu entscheiden, was er später davon verwenden wird, er beschreibt sozusagen die Figuren seines Schachspiels, ohne schon festzulegen, wie er sie bewegen und welche Züge er mit ihnen machen wird.
    In einem Brief behauptet er, dass er hinausgegangen sei, um sich unter Deck umzusehen. In einem anderen schreibt er jedoch, er habe, kaum von der morgendlichen Helle geweckt, ein fernes Konzert vernommen. Es waren Töne, die sicherlich von der Insel kamen. Zuerst hatte Roberto an eine Horde von Eingeborenen gedacht, die sich in lange Kanus drängten, um das Schiff zu erreichen, und hatte die Büchse fester umklammert, aber dann war ihm das Konzert weniger kriegerisch vorgekommen.
    Auf der Amarilli , wo er tagsüber nie an Deck gegangen war, hatte er die Passagiere von lodernden Morgenröten erzählen hören, von Morgenröten, die geradezu Feuer spien, als sei die Sonne begierig, die Welt zu verbrennen. Nun aber sah er, ohne dass die Augen ihm tränten, Pastellfarben: der Himmel geflockt mit dunklen, blass perlgrau geränderten Wölkchen, während ein Hauch, eine Ahnung von Rosa emporstieg hinter der Insel, die türkisgrün erschien wie hingetuscht auf ein rauhes Papier.
    Doch diese fast nordische Farbenpalette genügte, um ihn erkennen zu lassen, dass jenes Profil, das ihm in der Nacht so homogen vorgekommen war, aus den Umrissen eines bewaldeten Hügels bestand, der steil zur Küste abfiel, und dass der Hang mit hochstämmigen Bäumen bewachsen war, bis hinab zu den Palmen, die den weißen Strand säumten.
    Allmählich wurde der Sand immer leuchtender, und längs der Ränder gewahrte man an den Seiten etwas wie große Spinnen, die sich eingesponnen hatten und ihre skelettartigen Gliedmaßen ins Wasser streckten. Roberto verstand sie aus der Ferne als »wandernde Pflanzen«, aber im selben Moment ließ ihn das nun doch zu gleißend gewordene Leuchten des Sandes zurückfahren.
    Er entdeckte jedoch, dass, wenn ihm die Augen versagten, das Gehör ihn nicht im Stich lassen konnte, und so verließ er sich ganz aufs Gehör, schloss den Fensterflügel bis auf einen Spalt und horchte auf die Geräusche vom Lande.
    Obwohl er an die Morgendämmerungen in seinen piemontesischen Hügeln gewöhnt war, begriff er, dass er zum ersten Mal in seinem Leben wirklich die Vögel singen hörte, jedenfalls hatte er noch nie so viele von ihnen auf so verschiedene Weisen singen hören.
    Zu Tausenden begrüßten sie den Aufgang der Sonne; ihm schien, als erkenne er zwischen dem Krächzen der Papageien die Nachtigall, die Amsel, die Lerche und eine unendliche Vielzahl von Schwalben, ja sogar den durchdringenden Ton der Zikaden und der Grillen, wobei er sich fragte, ob es wirklich Tiere jener vertrauten Arten waren, die er da hörte, und nicht irgendwelche nur bei den Antipoden lebenden Vettern von ihnen ... Die Insel war nicht nahe, und doch hatte er den Eindruck, als brächten

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