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Die Höhle in den Schwarzen Bergen

Die Höhle in den Schwarzen Bergen

Titel: Die Höhle in den Schwarzen Bergen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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Untschida.«
    Mattotaupa bückte sich nach dem Lasso, mit dem er gefesselt gewesen war, und wollte es an sich nehmen. Aber seine Hände waren wirklich lahm, sie saßen nicht richtig im Gelenk. Noch einmal traf sein Blick Uinonahs angstvolle Augen. Dann handelte er rasch. Er glitt unter dem Zeltrand durch. Seine Füße gehorchten ihm, und er rannte zu den Pferden. Auch in der Nacht und mitten in der Herde erkannte er den besten der Mustangs aus seinem einstigen Besitz. Er hatte kein Messer, um die Fesseln an den Vorderbeinen des Tieres zu zerschneiden, und seine Finger waren steif. So hockte er sich nieder, um die Fesseln des Tieres mit den Zähnen aufzuknoten. Der Wachmann kam arglos herbei. Es war der bärtige Tom, der nach dem Postenwechsel auf die Pferde aufpassen sollte. Er konnte von allem, was in Mattotaupas Zelt geschehen war, nichts ahnen und hielt Mattotaupa wahrscheinlich für einen der beiden Krieger, die mit Tashunka-witko ins Zeltdorf zurückgekommen waren.
    »Noch mal fort?« fragte er. »Warte, ich helfe dir.« Er machte das Pferd los.
    »Hau«, antwortete Mattotaupa ruhig, »wieder fort.« Aber das eigene Wort stach ihn ins Herz. Er schwang sich auf und galoppierte in die Prärie hinaus. Seine lahmen Hände waren für ihn kein Hindernis beim Reiten, denn die Indianer lenkten ihre Tiere mit dem Schenkeldruck und benutzten den um den Unterkiefer des Pferdes befestigten Zügel nur zum Anhalten.
    Es war noch immer dunkel, als Mattotaupa sein Pferd den Weg zurückgaloppieren ließ, den er zu Fuß gekommen war.
    Nach kurzer Zeit hörte er Hufschlag hinter sich. Das waren die Verfolger. Mattotaupa trieb sein Tier an; er rief ihm seine Koseworte zu und feuerte es mit schrillen Schreien an; er schlug ihm die Fersen in die Seiten. Der Mustang liebte seinen Herrn, der ihn einst gefangen und bezwungen hatte. Er lief, als fliehe er vor einem Präriebrand und laufe um sein eigenes Leben. Der Hufschlag der Verfolger wurde nicht lauter. Allmählich wurde er leiser. Tashunka-witkos Mustang war nicht schlechter, aber das Tier, das Mattotaupa ritt, hatte lange gestanden; es war ausgeruht, und so gewann es das Rennen auf Leben und Tod ohne Mühe.
    Als das Tier endlich erschöpft, verschwitzt, mit schlagenden Flanken in Schritt fiel, war von den Verfolgern nichts mehr zu hören.
    Mattotaupa sprang ab und ließ das ermüdete Tier in einem Wellental der Prärie stehen. Er wußte, daß es jetzt nicht weglaufen würde. Er selbst schlich sich auf die Anhöhe hinauf, auf der er am Vortag mit Fred zusammen und dann allein Ausschau gehalten hatte. Das Kattunhemd, das er dort hatte liegen lassen, war zerfetzt. Nach den Spuren zu urteilen, hatten Kojoten, die das Blut gerochen haben mochten, das Hemd zerrissen.
    Rings war alles still. In hellen Strahlenbündeln flutete das Morgenlicht über die Prärie.
    Mattotaupa legte das Gesicht wieder auf die Erde. Er wollte das Licht nicht mehr sehen und nicht die weiten, verdorrten Wiesen, denn er mußte seine Heimat wieder verlassen.
    Als er das erstemal gegangen war, ging er voll großen Zornes und voll großer Hoffnung, daß seine Feinde in den Zelten ihren Beschluß noch bereuen würden. Als er das zweitemal gegangen war, tat er es stolz und bitter als der Helfer und Sieger, der zu Unrecht verachtet wurde. Jetzt ging er das drittemal ­ von der eigenen Mutter verstoßen, so schien es ihm, besiegt von dem, an dem er sich hatte rächen wollen, befreit von einem kleinen Mädchen.
    Konnte ein solcher Mann noch leben? Wer würde nicht vor ihm ausspucken?
    Mattotaupas Herz schlug schwach und unregelmäßig, und er schlief aus Erschöpfung ein.
    Was ihn sehr bald wieder weckte, wußte er zunächst nicht. Aber irgendwelche Laute beunruhigten seine Gehörnerven, und sein Mustang stieß ihn mit der Schnauze, erst sanft, dann heftig. Mattotaupa öffnete die Augen und stierte in den gleißenden Sonnenschein.
    Er wußte jetzt, daß es menschliche Stimmen waren, die er vernahm. Menschen riefen sich etwas zu, heiser, ohne Kraft. Er entdeckte auch die Gestalten, die sich bei seiner Fährte sammelten und darüber heftig zu debattieren schienen. Vier Menschen waren es, bärtig, barhäuptig, überhaupt nackt. Als Mattotaupa das erkannte, überkam ihn die Erinnerung, was Tschetan im Zeltdorf des Nachts berichtet hatte.
    Mattotaupa stand auf. Er torkelte; warum, wußte er selbst nicht; aber er hielt sich doch auf den Füßen und schrie laut, viel kräftiger als die vier nackten gespenstischen Gestalten:

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