Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Höhle in den Schwarzen Bergen

Die Höhle in den Schwarzen Bergen

Titel: Die Höhle in den Schwarzen Bergen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
Vom Netzwerk:
Dach. Harkas Schneehütte schmolz zusammen. Die Lüfte, die über das Land brausten, waren voll Feuchtigkeit. Der Fluß stieg, und als der letzte Schnee auftauend im Grasboden versickerte, spülten seine lehmfarbenen Fluten bis an das Blockhaus heran. Die Weidenzweige wurden grün, die Grashalme hoben sich, und die ersten jungen Keime sproßten aus der Erde. Schon begannen sich auch Blumenknospen zu öffnen. Die Tage wurden länger als die Nächte. Ausgehungert weideten Büffel, Mustangs, Elche, Hirsche, Antilopen; die Hamster verließen ihre leer gefressenen Löcher und suchten neue Nahrung. Die Bären erwachten aus dem Winterschlaf, ihr Fett war aufgezehrt; mager, gelenkig, hungrig gingen sie auf Beute aus, Weiße und indianische Jäger kamen mit den wertvollen Winterpelzen zu den Handelsstationen.
    Es war an einem Morgen dieser Jahreszeit. Ben stand mit Frau und Tochter hinter dem Haus und arbeitete an dem lange geplanten Anbau, der als Speisekammer dienen sollte. Red Jim schlenderte um das Haus herum, die Büchse im Arm. Als die Frau ihn erblickte, spitzte sie ihre Lippen zu spitzen Worten. Jim sah es und hatte seinen Spaß daran.
    »Immer tüchtig!« rief er. »Immer tüchtig! Ben, die Frau, die hat dir gefehlt! Wie lange habe ich dir gepredigt, du sollst darangehen und den Anbau fertigmachen? Du hast nicht auf mich gehört! Die Frau mußte kommen! Wo der Teufel nicht mehr sitzen kann und Red Jim ins Leere redet, da ist die Mary am Platz!«
    Die Frau ging zu Jim hin, zog ihm die Büchse aus dem Arm, was er sich laut lachend gefallen ließ, und drückte ihm ein Beil in die Hand. »Alter Gauner!« sagte sie. »Helfen!«
    Jim hatte seine Gründe, sich bei der Frau beliebt zu machen. »Mal alle weg!« befahl er und zog die Tochter derb beiseite. »Das, was ihr da vorhabt, macht Jim the Red schneller und besser.«
    Ben war verblüfft und ärgerlich, aber die Frau winkte ihm energisch, ebenfalls zu gehorchen. »Komm«, knurrte sie ihn an. »Jim macht das schon. Für dich gibt’s noch was anderes zu tun.«
    Jenny, die Tochter, maulte, aber auch sie erhielt nicht die Erlaubnis der Mutter, mit Jim zusammen weiterzuarbeiten.
    Ben rächte sich an seiner Mary. Er winkte ihr Abschied zu und verschwand im Hause. »Tjüs, ich muß bedienen!«
    Im Blockhaus waren drei Tische besetzt. Die Tür blieb offen. Die Morgensonnenstrahlen glitten in den Raum und lockerten seine düstere Atmosphäre. Auch von der westlichen Breitseite her fiel Licht herein. Jim brach die vorgesehene kleine Türöffnung zu dem Anbau auf. Die Beilhiebe krachten. Der Fluß dicht am Hause rauschte. In der Umzäunung wieherte ein Mustang. Alles war anders, lauter, lebendiger als im Winter, so auch die Erwartungen und Hoffnungen der Menschen, mit denen sie den Anbruch der wärmeren und fruchtbaren Jahreszeit begrüßten.
    An dem Tisch hinten in der linken Ecke hatten sich Joe, der Ingenieur, Henry, sein jüngerer Gehilfe, und Mattotaupa zusammengefunden. Neben Mattotaupa saß Harka. Joe war wieder bei Kräften. Untersetzt, straff, die Haut gebräunt, so saß er auf der Wandbank, nahm keinen Brandy, sondern verzehrte ein Stück Rehschlegel als Frühstück und trank Tee. Aber trotz der erfrischten Energie, die er ausstrahlte, hatte sich etwas an ihm verändert. Wer genau auf den Ton seiner Stimme zu lauschen vermochte und alles wahrnahm, was mitschwang, der hörte den Groll und eine verzweifelte Erbitterung noch immer heraus, und wer seine Augen früher gekannt hatte, der wußte, daß sie jetzt nicht mehr mit voller Zuversicht in die Welt schauten. Joe konnte den Morgen der toten Fische nicht vergessen. Auf Henry hatten die Schreckenstage anders gewirkt. Er dachte weniger an die Toten als an die eigene Errettung und brüstete sich gern, vor sich selbst und vor anderen, mit den Gefahren, die er überstanden hatte.
    »Was wollt ihr mit der Bahn?« fragte Mattotaupa eben den Ingenieur.
    »Niemandem etwas Böses!« antwortete Joe überzeugt. »Du kennst die großen Städte, Top. Große Städte gibt es viele im Osten, einige im Westen. Wenn der Bürgerkrieg jetzt zu Ende geht, werden unsere Städte aufblühen und wachsen wie nie zuvor! Aber zwischen unseren Städten im Osten und im Westen liegt die Wildnis der Prärie und des Felsengebirges und trennt sie schärfer als das Meer zwei Kontinente, die wenigstens durch Schiffahrtslinien verbunden sind. Ein solcher Zustand ist unsinnig, er ist einfach unhaltbar. Die Pazifikbahn wird also kommen, nicht nur diese eine,

Weitere Kostenlose Bücher