Die Kaffeemeisterin
Prolog
Frankfurt, 1729
J ohanna klappte die Fensterflügel schnell wieder zu, damit nicht noch mehr Kälte in die Schlafkammer drang. Draußen war alles weiß. Das Licht des tief über der Stadt hängenden Mondes wurde von der dicken Schneedecke reflektiert, sodass es trotz der frühen Morgenstunde auf dem vor ihr liegenden Alten Markt erstaunlich hell war. Durch die Eisblumen an der Scheibe erkannte sie ihren Nachbarn, den Kartenmacher Ludwig Haldersleben, der mit einer großen Schaufel bewaffnet die Fläche vor seinem Laden frei zu räumen begann. Statt seiner üblichen altmodischen Perücke trug er eine zerbeulte Grenadiermütze auf dem Kopf.
Johanna fröstelte. Genau diese Arbeit würde sie auch gleich erledigen müssen. Schosch, ihr vierzehnjähriger Neffe, schlief sicher noch, und den beiden Dienstmägden Anne und Sybilla hatte sie einen Tag freigegeben, hatten sie doch in letzter Zeit so hart arbeiten müssen wie nie zuvor, seit sie sich das dritte Mädchen nicht mehr leisten konnten. Dass Adam ihr beim Schneeschippen half, daran war nicht zu denken. Die ganze Nacht hatte er gehustet, immer wieder war sie von dem lauten Keuchen an ihrer Seite wach geworden. Einmal war sie sogar aufgestanden, um ihm seinen Tee aus getrockneten Salbeiblättern und Kamillenblüten zuzubereiten, der die Anfälle in der Regel ein wenig linderte, auch wenn Adam das nicht zugeben wollte. »Ich kann die Brühe nicht mehr sehen, Hanne. Mach mir lieber einen Kaffee!«, hatte er mit verächtlichem Blick auf die halb volle Teetasse gesagt. Aber sie hatte nicht nachgegeben und ihm auch die flache Zinnwärmflasche neu mit Glut aus dem Ofen gefüllt und in ein Tuch gewickelt ins Bett gelegt.
Sie drehte sich zu dem Schlafenden um. Obwohl die Kerze in der Laterne auf ihrem Nachttisch längst verloschen war, konnte sie ihren Mann deutlich im Mondschein erkennen. Er lag auf dem Rücken, den Mund leicht geöffnet. Schweißperlen standen auf seiner fahlen Stirn. Das schütter gewordene Haar war an den Schläfen nass geschwitzt. Er sah nicht gut aus, mit seinen eingefallenen Wangen und der spitzen Nase. Selbst seine Schultern, die aus dem Federbett hervorragten, schienen ihr plötzlich weniger breit und kräftig als noch vor ein paar Jahren, als sie seine Frau geworden war.
Wie lange war das jetzt her? An Weihnachten würden es acht Jahre sein, rechnete sie nach. So lange schon! Wie schnell die Zeit vergangen war … Sie konnte sich noch gut an ihre erste Begegnung mit Adam Berger erinnern, seines Zeichens stolzer Besitzer der Coffeemühle am Frankfurter Markt in bereits zweiter Generation. Mit seinen beiden kleinen Töchtern – Margarethe musste damals zwei oder drei Jahre alt gewesen sein, aber Lili? Ja, natürlich, Lili war noch ein Säugling gewesen, keine zwölf Monate alt – hatte er plötzlich in der guten Stube ihres Bornheimer Elternhauses gestanden. Ihr Vater war gerade von der Apfelernte heimgekommen, die Mutter hatte einen riesigen Topf Kartoffelsuppe für die ganze Familie gekocht. »Wo sechs Leute ihren Hunger stillen können, kriegen wir auch noch zwei weitere satt«, hatte sie fröhlich gerufen, »die Kleine isst ja noch nicht richtig, oder?« Ihr Vater hatte den Fremden als entfernten Verwandten vorgestellt, dessen liebe Frau Luise im letzten Sommer am Kindbettfieber gestorben sei. Etwas unbeholfen hatte der blonde Hüne Adam mit der schreienden Lili auf dem Arm dagestan den, Margarethe hatte sich hinter seinen Beinen versteckt, während ihre, Johannas, drei Geschwister den Besuch aus großen Augen angestarrt hatten. Schließlich hatte sie ihm das aufgeregt strampelnde Kind abgenommen und es wiegenden Schrittes so lange durch die Stube getragen und leicht geschuckelt, bis es auf ihrem Arm selig eingeschlafen war. So hatte sie es auch mit ihren beiden kleinen Brüdern, den Zwillingen Leopold und Kaspar, immer gemacht, um die Mutter zu entlasten. Adam Berger hatte an jenem Abend während des Essens immer wieder bewundernd zu ihr hinübergesehen und ein paar Tage später bei ihrem Vater um ihre Hand angehalten.
Die Glocken vom Dom begannen ihr sonntägliches Morgenkonzert. Sechs Uhr war es gleich. Johanna zog bibbernd ihr Wolltuch über dem langen, weißen Leinenhemd zusammen. Sie selbst würde schon wieder nicht zum Gottesdienst in der Nikolaikirche gehen können. Und das alles nur wegen dieses elenden Schnees, den sie noch schippen musste – es war doch erst November, viel zu früh für einen solchen Wintereinbruch! Um halb
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