Die Kaffeemeisterin
tiefe Stimme, mit der er freundlich, aber bestimmt seine Wünsche und Ziele formuliert hatte. Nie hatte es irgendjemand gewagt, sich gegen Adam Berger aufzulehnen, immer hatten alle getan, was er verlangte. Bei ihr würde das garantiert nicht so sein, das wusste sie schon jetzt. Angefangen bei Schosch, der immer nur auf seinen Onkel gehört hatte, auch wenn sie ihn wenige Momente vor Adam um exakt denselben Gefallen gebeten hatte. Und erst die Lieferanten, mit denen nun sie verhandeln sollte! Und dann würde sie auch die Finanzen regeln, sich mit dem Schatzamt und dem Rechneiamt wegen irgendwelcher Vorschriften und Auflagen herumschlagen müssen, die sie nicht einmal kannte. Nicht zu vergessen all die Neider und Konkurrenten, denen sie künftig allein ausgesetzt wäre. Und am allerschlimmsten: die Gäste! All die Jahre hatte sie versucht, sich nicht anmerken zu lassen, wie sehr diese Leute sie verunsicherten. Allesamt gewitzte Städter, denen es nie schnell genug gehen konnte. Ob sie hinter ihrem Rücken über sie lästerten, sich über den »Bauerntrampel« lustig machten? Adam war es nie schwergefallen, mit seinen Kunden ein paar nette Worte zu wechseln; sogar mit den Messegästen aus dem Ausland hatte er sich irgendwie verständigen können. Aber sie fühlte sich steif und gehemmt bei Menschen, die sie nicht kannte. Sie war wahrlich nicht die geborene Wirtin.
Wieder fühlte sie, wie ihr die Tränen die Kehle hinaufstiegen. Das war unmöglich, sie konnte die Coffeemühle nicht alleine weiterführen! Sie war dieser riesigen Aufgabe einfach nicht gewachsen. Wie sollte sie auch?
An dem unebenen Steinfußboden unter ihren Füßen erkannte Johanna, dass sie den Hausflur erreicht hatte. Da vorn musste der Eingang zur Gaststube sein. Sie schniefte und zog die Nase hoch. Was half es, wenn sie sich jetzt hängen ließ? Sie musste da durch, das erkannte sie pötzlich mit einer Klarheit, die sie selbst überraschte. Auf keinen Fall durfte sie sich von ihrer Angst um Adam oder ihrer Verzagtheit von der Arbeit abhalten lassen. Sie allein trug nun die volle Verantwortung: für die Coffeemühle , für die Kinder, die Dienstboten. Es stand außer Zweifel, was sie zu tun hatte.
Sie spürte den dicken, runden Türknauf unter ihren Fingern und straffte die Schultern. Sie musste es schaffen, es gab keine andere Wahl. Adam sollte schließlich stolz auf sie sein – und wenn er ihr nur vom Himmel aus würde zusehen können, wie sie das Kaffeehaus seiner Familie zum größten und schönsten des ganzen Landes machte.
Erster Teil
DER DAMENSALON
1. KAPITEL
Frühjahr 1732
J ohanna öffnete die Tür zur Gaststube und wunderte sich über die angespannte Stille. Niemand nahm von ihr Notiz, als sie über die Schwelle trat. Dabei klapperten die zinnernen Becher auf ihrem Tablett, und der Schlüsselbund an ihrem Gürtel klimperte dazu im Takt.
»Was ist denn hier los?«, fragte sie laut.
Keiner von den nun, am späten Nachmittag, nur etwa zehn Anwesenden reagierte. Es war ein stürmischer Märztag, und der Wind warf die Tür hinter ihr ins Schloss.
Erst als sie mitten im Raum stand, erkannte sie, worauf alle Augen gerichtet waren. Selbst ihr Gehilfe Schosch, ein gut aussehender, stets schlecht gelaunter junger Mann, der sich wenig für die Welt um ihn herum interessierte, starrte gebannt zu der Fremden, die sich neben dem Herdfeuer niedergelassen hatte. Ihre Kleidung schien ganz aus bunten Tüchern und Umhängen zu bestehen, die sie in mehreren Schichten um ihren Körper gewickelt hatte. Auf dem Kopf trug sie eine papageienbunte, turm artige Kreation mit einem kleinen Schleier. Mindestens drei Schals ringelten sich eng um ihren Hals. Mit verklärtem Blick und weit ausgestrecktem Arm schwenkte sie eine kleine Kaffeeschale dreimal ganz langsam vor ihrem Körper hin und her. Nicht nur ihr Arm bewegte sich, sie drehte ihren ganzen Oberkörper mit, wie ein Priester, der Weihrauch schwenkt. Theatralisch hielt sie inne und pustete mit geschlossenen Augen mehrmals in das Gefäß, als wollte sie der Flüssigkeit darin Leben einhauchen. Sie schlug die Augen wieder auf und sah konzentriert auf ihr Gegenüber, den Sohn des Besitzers einer Schießpulvermühle aus der Eifel.
»Trinkä Tassä läär!« , raunte sie bedeutungsvoll und mit einem ausländischen Akzent, der so falsch klang, dass Johanna fast laut aufgelacht hätte.
Als der Junge die kleine Schale von ihr entgegennahm, zitterten seine Finger. Hastig schluckte er die schwarze Flüssigkeit
Weitere Kostenlose Bücher