Die kaputte Elite: Ein Schadensbericht aus unseren Chefetagen (German Edition)
der Wirtschaftselite beginnt beim Nachwuchs. Nicht selten debattierte ich abends mit meinen Kollegen an der Hotelbar über die moralischen Dilemmata der Finanzmärkte, über gedankenlose Schuldenpolitik und über zu hohe Manager-Abfindungen. Tagsüber sagten wir zu allem Ja und Amen.
Wir sollten uns wichtige Fragen stellen: Was läuft schief in den Chefetagen? Was ist der Grund für den Erfolg der ängstlichen Technokraten? Die aktuelle Managementkrise ist die Folge eines oft beschriebenen ökonomischen Werteverfalls. Unser Wirtschaftssystem verliert seine Überzeugungskraft. Dadurch gewinnen politische Kräfte die intellektuelle Lufthoheit, die von Freiheit und Verantwortung des Einzelnen nichts halten. Wem die soziale Marktwirtschaft lieb ist, der muss sich um den Zustand der Wirtschaftseliten mindestens so sorgen wie um die Wirtschaft generell. Auch Manager haben die Verantwortung, Vorbild zu sein. Sie sind Rollenmodelle für die Jugend. Eine kaputte Elite können wir uns nicht leisten.
Was notwendig wäre, ist so einfach wie revolutionär: eine neue Führungsmentalität. Kollektive Unzufriedenheit, Rezession, asiatische Billigkonkurrenz und öffentliche Schulden sind reale Bedrohungen. Gerade deshalb brauchen wir mutige und inspirierende Lenker in den entscheidenden Positionen. Menschen, die sich mehr Gedanken über Innovation machen als über Effizienz und Optimierung. Gefragt sind unangepasste und selbstkritische Entscheider, keine Folien-Grafiker. Diese bekommen wir nur dann, wenn wir Gestaltung in den Mittelpunkt wirtschaftlichen Handelns stellen, nicht betriebswirtschaftliche Konventionen. Der Kapitalismus muss sich nicht neu erfinden. Aber er muss anders gelebt werden.
Dieses Buch dient der Bestandsaufnahme. Jeder Reparatur geht ein Schadensbericht voraus. Die folgenden Kapitel sollen deshalb aufzeigen, an welchen Stellen die Führung unserer Ökonomie krankt. Sie sollen jene fatalen Fehler aufdecken, die in der Welt des Managements tagtäglich begangen werden. Sie sollen beschreiben, warum der ehrbare Kaufmann so selten geworden ist. Sie sollen analysieren, warum Konzerne pleitegehen, Angestellte verzweifeln und CEO s zu Feindbildern wurden.
Dort, wo die Karrieren der kaputten Elite ihren Anfang nehmen, beginnt auch dieser Bericht: in den Vorlesungssälen der Business Schools.
[1] Henry Mintzberg zitiert nach: Katja Köllen: »Business Schools: MBA zwischen Reform und Marketing-Geplänkel«, WirtschaftsWoche Online vom 26.10.2011.
[2] Frank Schirrmacher: »Bürgerliche Werte: ›Ich beginne zu glauben, dass die Linke recht hat‹«, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung vom 14.8.2011.
Schadensbericht
Head down and deliver
Nachwuchs wird gefügig gemacht
Head down and deliver [hed daʊn nd d ˈl vɘ r ] = Beraterdeutsch für »stillhalten und Arbeit abliefern«. Aufforderung an Neueinsteiger, übertragene Aufgaben zu erledigen, anstatt Beschwerden zu äußern.
Ein kleiner Ort am Atlantik. Die Sanddünen waren festgefroren und überzuckert von frischem Schnee. Ebbe. Nur kleine Rinnsale durchzogen den grauen Schlick, wo sich bei Flut und Wind die Wogen brachen. In der kurzen Mittagspause ging ich hinunter ans Meer. Ein hölzerner Steg führte zu einer kleinen Aussichtsplattform. Am Himmel kreischten Möwen. Ich atmete klare, salzige Luft. Seltene Momente der Ruhe, denn das Bootcamp, das Einstiegs-Training meines neuen Arbeitgebers, forderte meinen Kollegen und mir physisch und psychisch alles ab.
Nach kaum zwei Wochen auf meinem ersten Projekt wurde ich in eine Art Management-Überlebenscamp geschickt. In einer gemieteten Ferienanlage wurden die Neueinsteiger auf den Korpsgeist der Firma eingeschworen. Zusammen mit anderen Nachwuchsberatern verbrachte ich zwei Wochen lang 17 Stunden am Tag mit Fallstudien, Gruppenarbeiten, Vorträgen und gemeinschaftlichen Aktivitäten zur Stärkung des Wir-Gefühls.
Das Training war Gehirnwäsche und BWL -Schnellstudium in einem. Eingeteilt in einzelne Gruppen, wurden wir jeweils einem Trainer zugewiesen (meist selbst ein erfahrener Projektleiter). Meine sechs Kollegen stammten aus China, Singapur, Großbritannien, den USA und der Ukraine. Tagsüber wiederholten wir ausgewählte Konzepte der Betriebswirtschaftslehre, nachts wurde das neu Erlernte in Fallstudien angewandt. Bis zur Erschöpfung. Die einzelnen Module beinhalteten Themen wie Kostenanalyse, Profitabilitäts-Management oder Firmenbewertungen. Jeweils nach dem Abendessen wurde uns ein praktischer
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