Die Kartause von Parma
Sohne den Entwurf einer dritten politischen Depesche diktieren und brachte sie würdevoll in seiner wohlgepflegten Handschrift ins reine. Das Papier trug als Wasserzeichen das Bildnis des Kaisers. Zur selben Stunde ließ sich Fabrizzio bei der Gräfin Pietranera melden.
»Ich gehe fort,« sagte er zu ihr, »ich will zum Kaiser, der auch König von Italien ist. Er hat deinem Gatten so viel Gutes erwiesen. Ich reise durch die Schweiz. Mein Freund Vasi, der Barometerhändler in Menaggio, hat mir seinen Paß gegeben. Gib mir jetzt ein paar Napoleons, denn ich besitze nur zwei. Aber wenn es sein muß, gehe ich auch zu Fuß!«
Die Gräfin weinte vor Freude und Schrecken. »Mein Gott,« rief sie aus und faßte ihn bei den Händen, »warum mußtest du auf diesen Einfall kommen?«
Sie stand auf und holte eine kleine, perlenbestickte Börse aus dem Wäschespind, wo sie sorglich versteckt lag; sie enthielt alles, was sie auf der Welt besaß.
»Nimm das!« sagte sie zu Fabrizzio. »Aber, um Gottes willen, laß dich nicht töten! Was bliebe uns dann noch, deiner unglücklichen Mutter und mir, wenn du nichtwiederkämst? An Napoleons Erfolg kann ich nicht glauben, mein armer Junge; die Unseren werden ihn bald unterkriegen. Hast du nicht vor acht Tagen in Mailand die Geschichte von den dreiundzwanzig ausgeklügelten Mordanschlägen gehört, denen er nur durch ein Wunder entgangen ist? Und damals war er allmächtig! Auch hast du gesehen, daß es unseren Feinden nicht am Willen fehlt, ihn zu verderben. Frankreich war nichts mehr seit seiner Abdankung.«
Und im Ton der lebhaftesten Erregung sprach die Gräfin vom künftigen Schicksal Napoleons. »Wenn ich dir erlaube, zu ihm zu gehen,« sagte sie, »bringe ich ihm mein Liebstes auf der Welt zum Opfer.« Fabrizzios Augen wurden feucht. Er umarmte die Gräfin unter Tränen, aber sein Entschluß wurde nicht einen Augenblick erschüttert. Das Herz ging ihm über, als er seiner teueren Freundin die Gründe auseinandersetzte, die ihn dazu bestimmten und die recht töricht zu finden wir uns erlauben.
»Gestern abend, es war sieben Minuten vor sechs, gingen wir, wie du weißt, in der Platanenallee unterhalb der Villa Sommariva am See spazieren. Wir wanderten südwärts. Da gewahrte ich als erster in der Ferne das Boot, das von Como kam und uns eine so bedeutsame Kunde brachte. Gar nicht an den Kaiser denkend, war ich beim Anblick des Schiffes nur neidisch auf alle, denen das Schicksal zu reisen erlaubt, und ganz plötzlich ergriff mich eine tiefe Bewegung. Das Schiff legte an. Der Bote sprach leise mit meinem Vater. Der wurde blaß und nahm uns beiseite, um uns die ›schreckliche Nachricht‹ mitzuteilen. Ich schaute nach dem See hinaus, ohne andere Absicht, als meine Freude zu verbergen, von der mir die Augen überliefen. Plötzlich, in unendlicher Höhe, rechter Hand von mir, sah ich einen Adler, den Vogel Napoleons; er flog majestätisch dahin, in der Richtung nach der Schweiz, also auf Paris zu. Auch ich, sagte ich mir sofort, will die Schweiz mit Adlerschnelle durcheilen und hingehen unddem großen Mann alles darbieten, was ich ihm darzubieten vermag. Es ist wenig genug: die Hilfe meines schwachen Armes! Er wollte uns ein Vaterland geben. Und er liebte meinen Onkel. Im Augenblick, während ich noch den Adler sah, versiegten seltsamerweise meine Tränen, und der Beweis, daß mein Einfall von oben stammt, ist der: blitzartig kam mir mein Entschluß, und zugleich sah ich die Mittel, wie ich die Reise ausführen könne. Im Nu war all meine Schwermut, die mir das Leben vergällt – du weißt, besonders an Sonntagen –, wie durch einen göttlichen Hauch weggeweht. Ich sah das hehre Bild der Italia wieder aus dem Schmutz emporsteigen, in den es die Habsburger niederdrückten. Sie streckte ihre zerschundenen Arme, noch halb mit Ketten belastet, ihrem König und Befreier entgegen. Und ich, sagte ich mir, ich noch unbekannter Sohn meiner unglücklichen Heimat, ich will hingehen und sterben oder siegen mit diesem Mann; ihn hat das Schicksal ausersehen, uns reinzuwaschen von der Verachtung, mit der uns sogar die gemeinsten Knechtsseelen Europas überschütten.
Du kennst,« fuhr er im Flüsterton fort, indem er ganz nahe an die Gräfin herantrat und sie flammenden Auges ansah, »du kennst den jungen Kastanienbaum, den meine Mutter in dem Winter, da ich geboren wurde, mit eigenen Händen gepflanzt hat, am Rand der großen Quelle in unserem Walde, zwei Meilen von hier. Ich wollte nichts
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