Die Katzen von Ulthar
zurückkommen. Doch alle stimmten sie in einem Punkt überein: nämlich, daß die Weigerung aller Katzen, ihre Fleischportionen zu verzehren oder ihre Milchschüsselchen zu schlabbern, höchst sonderbar sei. Und zwei volle Tage lang wollten die geschmeidigen, fetten Katzen von Ulthar keine
Nahrung anrühren, sondern nur am Feuer oder in der Sonne dösen.
Es dauerte eine ganze Woche, ehe den Dorfbewohnern auffiel, daß im Abenddämmer in den Fenstern der Hütte unter den Bäumen kein Licht brannte.
Dann meinte der dürre Nith, daß keiner den alten Mann oder seine Frau seit der Nacht, in der die Katzen verschwunden waren, mehr gesehen hätte. Noch eine Woche später beschloß der Bürgermeister, seine Angst zu überwinden und von Amts wegen die so befremdlich stille Behausung aufzusuchen, wobei er sich jedoch darauf bedacht zeigte, Shang, den Hufschmied, und Thul, den Steinmetz, als Zeugen mitzunehmen. Und als sie die hinfällige Tür eingedrückt hatten, fanden sie nur dies: zwei peinlich gesäuberte Skelette auf dem irdenen Fußboden und eine Anzahl eigenartiger Käfer, die in den schattigen Ecken umherkrochen.
Hernach gab es viel Gerede unter den Bürgern von Ulthar. Zath, der Leichenbeschauer, disputierte des Langen und Breiten mit Nith, dem dürren Notar; und Kranon und Shang und Thul wurden mit Fragen überhäuft. Selbst der kleine Atal, der Sohn des Schankwirts, wurde genauestens verhört und bekam ein Stück Zuckerwerk zur Belohnung. Sie redeten von dem alten Kätner und seiner Frau, von der Karawane der dunkelhäutigen Wanderer, vom kleinen Menes und seinem schwarzen Kätzchen, von Menes' Gebet und vom Himmel während dieses Gebets, von den Taten der Katzen in der Nacht als die Karawane fortzog, und von dem, was man später in der Hütte unter den dunklen Bäumen in dem abstoßenden Hof fand.
Und am Ende erließen die Bürger dies bemerkenswerte Gesetz, von dem die Händler in Hatheg erzählen und über das die Reisenden in Nir diskutieren; nämlich, daß in Ulthar niemand eine Katze töten darf.
3
Das Weiße Schiff
Ich bin Basil Elton, der Wärter des North−Point−Leuchtfeuers, das vor mir mein Vater und mein Großvater hüteten. Weitab der Küste steht der graue Leuchtturm über schleimigen, blinden Klippen, die man bei niedriger Flut sieht, bei hoher jedoch nicht. Ein Jahrhundert lang sind an diesem Signalfeuer die majestätischen Barken der Sieben Meere vorübergezogen. In den Tagen meines Großvaters waren es viele; in den Tagen meines Vaters schon weniger; und heute sind es so wenige, daß ich mich manchmal seltsam allein fühle, so als wäre ich der letzte Mensch auf unserem Planeten.
Damals kamen jene weißbesegelten Handelsschiffe von fernen Küsten; von fernen, östlichen Küsten, wo warme Sonnen scheinen und süße Düfte merkwürdige Gärten und prächtige Tempel durchziehen. Die alten Kapitäne besuchten meinen Großvater oft und erzählten ihm von diesen Dingen, die er wiederum meinem Vater erzählte, und mein Vater mir, an langen Herbstabenden, wenn der Wind unheimlich aus dem Osten heulte. Und in den Büchern, die man mir gab, als ich jung und voller Staunen war, habe ich noch mehr über diese und viele anderen Dinge gelesen.
Doch wundervoller als die Kenntnisse alter Männer und die Kenntnisse der Bücher, sind die geheimen Kenntnisse des Ozeans. Blau, grün, weiß oder schwarz; glatt, aufgewühlt oder bergehoch; dieser Ozean ist nicht stumm. Mein Leben lang habe ich ihn beobachtet und ihm gelauscht, und ich kenne ihn gut.
Zuerst erzählte er mir nur die gewöhnlichen kleinen Geschichten von stillen Stranden und nahen Häfen, doch mit den Jahren zeigte er sich freundlicher und sprach von anderen Dingen. Manchmal haben sich im Zwielicht die grauen Horizontdünste geteilt, um mir flüchtige Blicke in die jenseitigen Räume zu gewähren; und manchmal wurde des Nachts die See klar und phosphoreszierend, um mir flüchtige Blicke in die darunterliegenden Räume zu gewähren. Und diese flüchtigen Blicke haben mir ebensooft Räume gezeigt, die waren oder die sein könnten, wie die Räume, die sind; denn der Ozean ist ungleich älter als die Berge, und befrachtet mit den Erinnerungen und Träumen der Zeit. Von Süden her war es, daß das Weiße Schiff zu kommen pflegte, wenn der Mond voll und hoch am Himmel stand. Von Süden her glitt es sehr sanft und still über das Meer. Gleichgültig ob die See rauh oder ruhig, der Wind freundlich oder widrig war, es glitt immer sanft und still
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