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Die Knochenleserin

Die Knochenleserin

Titel: Die Knochenleserin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iris Johansen
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messen und Markierungen zu setzen. Dann hatte sie Plastilinstreifen zwischen den Markierungen angebracht und sich zu den Messpunkten vorgearbeitet. Eine besondere Herausforderung stellte die feine Balance zwischen der Konzentration auf die Messpunkte und der Modellierung der Konturen dar, bis sie schließlich so weit war, den Rest ihrem Gefühl zu überlassen. Sie war fast am Ziel. »Wollen wir mal sehen, was wir tun können, bevor Jane nach Hause kommt. Dann muss ich leider aufhören. Du bist mir wirklich sehr wichtig, aber eines habe ich in all den Jahren, seit ich mich mit dir und den anderen Kindern beschäftige, begriffen: Jeder Moment, den man mit den Menschen verbringen kann, die man liebt, ist kostbar …«
     
    Das Messer fuhr tief in den Rücken des Mannes.
    Kein Schrei.
    Kistle drehte das Messer beim Herausziehen. Er hoffte, dass der Scheißkerl noch lebendig genug war, um es zu spüren.
    Der Mann trug die Uniform eines Sheriffs. Also ein Cop, was bedeutete, dass eventuell noch andere in der Nähe waren. Er musste sich beeilen. Er rollte die Leiche ins Gebüsch und durchsuchte die Taschen des Mannes. Ein Notizbuch, ein Dienstausweis, ausgestellt auf Sheriff James Jedroth, ein Handy, ein paar Fotos von einer Frau und einem Kind. Er nahm das Handy, ging zu seinem Wagen und überprüfte die letzte Nummer auf dem Display. Keine Nummer von hier. Also hatte er eben nicht mit seiner Frau telefoniert, als Kistle ihn entdeckt hatte. Wer hatte der Polizei den Tipp gegeben, dass er hier war? Wer hatte ihn dazu gezwungen, zu verschwinden?
    Erst als er einige Kilometer von der Stadt entfernt war, wählte er die Nummer.
    Niemand da. Beim fünften Klingeln meldete sich der Anrufbeantworter.
    Joe Quinn. Eve Duncan.
    Er erstarrte, als es ihm dämmerte.
    Eve Duncan.
    Er holte tief Luft. Das war alles lange her, aber die Erinnerung kam sofort zurück. Ein Schauder der Erregung überlief ihn. Er musste mit ihr reden. Er musste ihr sagen, wie froh er war, dass sie endlich wieder in sein Leben getreten war.
    Eve registrierte genervt, dass das Telefon schon wieder klingelte. Es war das dritte Mal innerhalb einer Viertelstunde, vielleicht sollte sie endlich rangehen. Andererseits konnte es nicht allzu wichtig sein, denn Joe oder Jane hätten auf ihrem Handy angerufen, nachdem sie nicht ans Telefon gegangen war. Sie wussten, wie konzentriert sie immer arbeitete.
    Bei einem Blick auf das Display sah sie, dass der Anruf aus Bloomburg, Illinois, von einem Sheriff James Jedroth kam. Wahrscheinlich ein Polizeirevier, das sie um eine Rekonstruktion bitten wollte. Seit sie über Nacht berühmt geworden war, nahmen die Anfragen kein Ende mehr. Aber es war fast zehn Uhr abends, offenbar maß Sheriff Jedroth festen Arbeitszeiten keine Bedeutung bei. Nun ja, da Eve das auch nicht tat, konnte sie genauso gut ans Telefon gehen. »Eve Duncan.«
    »Fehlt Ihnen Ihre kleine Bonnie immer noch?«
    Die Worte trafen sie wie ein Schlag. »Wie bitte?«
    »Sie hatte rote Locken, und am letzten Tag, an dem Sie sie gesehen haben, trug sie ein Bugs-Bunny-T-Shirt.«
    »Falls das ein übler Scherz sein soll, Sheriff Jedroth, kann ich nicht darüber lachen.«
    »Ich schon. Welche Erregung, welch köstliche Vorfreude. So habe ich mich seit Jahren nicht mehr gefühlt. Mir war gar nicht bewusst, wie abgestumpft ich schon war und wie sehr das Töten seinen Reiz verloren hatte. Dann hörte ich plötzlich Ihren Namen auf dem Anrufbeantworter und fühlte mich wie neugeboren.«
    »Das Töten.« Ihre Hand umklammerte den Hörer. »Wer sind Sie? Sie sind doch kein Sheriff?«
    »Einmal habe ich mich als Sheriff ausgegeben. Das war in Fort Collins, Colorado. Kindern bringt man bei, Polizisten zu vertrauen.«
    »Wer sind Sie?«, wiederholte sie. »Ich kenne Sie nicht. Warum rufen Sie mich an?«
    »Bonnie kannte mich. Sie hat mich sehr gut kennengelernt, bevor es vorbei war.«
    Sie durfte ihm nicht zeigen, wie sehr seine Worte sie quälten. »Sie Scheißkerl. Was wollen Sie von mir?«
    »Sie hätten nicht versuchen dürfen, mich ausfindig zu machen. Dafür werde ich Sie bestrafen müssen. Ich habe mich noch nie zum Opfer machen lassen, wenn ich nicht sicher sein konnte, dass ich meine Schmerzen doppelt und dreifach zurückzahlen konnte.« Er lachte in sich hinein. »Aber diesmal bin ich längst nicht so verbittert. Seit Jahren verfolge ich Ihre Suche nach Bonnie, und das hat mir manch trübe Stimmung versüßt.«
    »Ich habe nicht versucht, Sie ausfindig zu machen. Ich

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