Die Königin der Weißen Rose
einfacher Mann gegenüber der schönsten Frau, die ihm je begegnet ist. Kommt zu mir, ich bitte Euch, kommt zu mir. Es könnte mein letzter Wunsch sein. Werdet Ihr heute Abend zu mir kommen?»
Ich schüttele den Kopf. «Verzeiht mir, Euer Gnaden, aber ich bin eine ehrbare Frau.»
«Ich werde Euch womöglich nie wieder darum bitten. Gott weiß, dass ich womöglich nie wieder eine Frau bitten werde. Darin kann doch keine Schande liegen. Ich könnte nächste Woche sterben.»
«Selbst dann.»
«Seid Ihr denn nicht einsam?», fragt er, und seine Lippen streifen fast meine Stirn, so nah ist er mir. Ich spüre die Wärme seines Atems an meiner Wange. «Und empfindet Ihr nichts für mich? Könnt Ihr sagen, Ihr begehrt mich nicht? Nur einmal? Wollt Ihr mich jetzt nicht?»
Betont langsam hebe ich die Augen zu seinem Gesicht. Mein Blick ruht auf seinen Lippen, dann schaue ich auf.
«Lieber Gott, ich muss Euch haben», haucht er.
«Ich kann Eure Geliebte nicht sein», sage ich ruhig. «Lieber würde ich sterben, als meinen Namen zu entehren. Diese Schande kann ich nicht über meine Familie bringen.» Ich unterbreche mich, ich darf ihn nicht zu sehr entmutigen. «Was auch immer ich mir im Herzen wünsche», füge ich ganz leise hinzu.
«So wollt Ihr mich denn?», fragt er jungenhaft, und ich lasse ihn die Wärme in meinem Gesicht sehen.
«Ach», sage ich. «Ich sollte Euch nicht sagen …»
Er wartet.
«Ich sollte Euch nicht sagen, wie sehr.»
Ich sehe den Schimmer eines Triumphs aufblitzen, rasch wieder verborgen. Er denkt, er kann mich haben.
«Ihr werdet also kommen?»
«Nein.»
«Dann muss ich gehen? Muss Euch verlassen? Darf nicht …» Er beugt sein Gesicht über mich, und ich hebe das meine. Sein Kuss ist so zart, als streifte eine Feder meine weichen Lippen. Mein Mund öffnet sich etwas, und ich spüre, dass er zittert wie ein Pferd, das fest am Zügel gehalten wird. «Lady Elizabeth … ich schwöre … ich muss …»
In diesem köstlichen Tanz trete ich einen Schritt zurück. «Wenn doch nur …», flüstere ich.
«Ich komme morgen», sagt er abrupt. «Am Abend. Bei Sonnenuntergang. Wollt Ihr mich dort treffen, wo wir uns zum ersten Mal begegnet sind? Unter der Eiche? Werdet Ihr Euch dort mit mir treffen? Ich möchte Euch Lebewohl sagen, bevor ich in den Norden ziehe. Ich muss Euch wiedersehen, Elizabeth. Wenigstens das. Ich muss.»
Ich nicke schweigend und sehe ihm zu, wie er auf dem Absatz kehrtmacht und zurück zum Haus geht. Ich sehe, wie er ums Haus zum Stallhof geht, und wenige Augenblicke später donnert sein Pferd den Weg hinunter, undseine beiden Knappen geben ihren Pferden die Sporen, um mit ihm mitzuhalten. Ich blicke ihm hinterher, bis er verschwunden ist, und dann nehme ich die kleine Brücke über den Fluss und suche den Faden, der um die Esche gebunden ist. Behutsam ziehe ich ihn einen Fuß ein und verknote ihn wieder. Dann gehe ich nach Hause.
Beim Mittagessen am nächsten Tag wird so etwas wie eine Familienkonferenz abgehalten. Der König hat einen Brief geschickt: Sein Freund Sir William Hastings wird meinen Anspruch auf mein Haus und mein Land in Bradgate unterstützen, und ich soll versichert sein, dass ich mein Vermögen zurückbekomme. Mein Vater ist erfreut, doch meine Brüder – Anthony, John, Richard, Edward und Lionel – sind sich mit jungenhaft wachsamem Stolz einig in ihrem Argwohn gegen den König.
«Er ist ein berüchtigter Lüstling. Er wird verlangen, sich mit ihr zu treffen, er wird Elizabeth vor Gericht zerren», glaubt John.
«Er gibt ihr das Land nicht aus Nächstenliebe zurück. Er wird seinen Preis dafür verlangen», meint auch Richard. «Es gibt am Hofe keine einzige Frau, der er nicht beigewohnt hat. Warum sollte er es nicht auch bei Elizabeth versuchen?»
«Einer Lancastrianerin», sagt Edward, als genügte das, um unsere Feindschaft zu garantieren, und Lionel nickt zustimmend.
«Ein Mann, dem man sich nur schwer verweigern kann», sagt Anthony nachdenklich. Er ist viel welterfahrener als John; er hat die ganze Christenheit bereist und bei großen Denkern studiert. Meine Eltern hören immer auf ihn. «Ichvermute, Elizabeth, dass du dich kompromittiert fühlst. Ich fürchte, du könntest dich ihm verpflichtet fühlen.»
Ich zucke die Achseln. «Keineswegs. Ich habe doch nur noch mich selbst. Ich habe den König um Gerechtigkeit gebeten, und die habe ich erhalten, wie es mir gebührt, wie es jedem Bittsteller gebührt, der das Recht
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