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Die Kunst des Träumens

Die Kunst des Träumens

Titel: Die Kunst des Träumens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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der Tunnel, und du kannst darin leben.« Die Stimme machte eine Pause, dann fügte sie hinzu: »Das heißt, falls du es willst.« Ich konnte mich nicht überwinden, etwas zu sagen. Ich fürchtete, jede Aussage von mir könnte ins Gegenteil dessen verdreht werden, was ich meinte.
    »Die Vorteile für dich sind unermeßlich«, fuhr die Stimme des Botschafters fort. »Du kannst in so vielen Tunneln leben, wie du nur willst. Und jeder wird dich etwas anderes lehren. So lebten die Zauberer der Vorzeit, und sie lernten wunderbare Dinge.«
    Ich merkte, ohne jedes Gefühl, daß der Scout mich von hinten schob. Anscheinend wollte er, daß ich vorwärtsging. Ich wählte den Tunnel gleich rechts von mir. Kaum war ich darin, merkte ich irgendwie, daß ich in dem Tunnel nicht ging; ich schwebte in ihm, ich flog. Ich war ein Tropfen Energie, nicht anders als der Scout.
    Wieder tönte die Stimme des Botschafters in meinen Ohren: »Ja, du bist nur ein Tropfen Energie«, sagte sie. Ihre Wiederholungen erleichterten mich sehr. »Und du schwebst im Innern eines anorganischen Wesens«, fuhr er fort. »Auf diese Weise, so will es der Scout, sollst du dich in dieser Welt bewegen. Als er dich berührte, hat er dich für immer verändert. Jetzt bist du praktisch einer von uns. Falls du hier bleiben willst, brauchst du nur deine Absicht auszusprechen.«
    Der Botschafter hörte auf zu sprechen, und das Bild des Tunnels kehrte mir zurück. Als er wieder zu sprechen anfing, hatte sich etwas reguliert: ich verlor diese Welt nicht mehr aus dem Blick und konnte dennoch die Stimme des Botschafters hören. »Die alten Zauberer lernten alles, was sie vom Träumen wußten, indem sie hier bei uns blieben«, sagte sie.
    Ich wollte fragen, ob diese Zauberer all ihr Wissen gelernt hätten, indem sie einfach in diesen Tunneln lebten; aber bevor ich meine Frage aussprechen konnte, beantwortete sie der Botschafter. »Ja, sie lernten alles, nur indem sie im Innern der anorganischen Wesen lebten«, antwortete er. »Um hier drinnen zu leben, brauchten die alten Zauberer nur zu sagen, daß sie dies wollten; ähnlich wie du, um hierher zu gelangen, nur laut und deutlich deine Absicht auszusprechen brauchtest.« Der Scout stieß mich an, zum Zeichen, daß ich mich weiterbewegen sollte. Ich zögerte, und nun tat er etwas, das sich anfühlte, als stieße er mich mit solcher Kraft voran, daß ich wie ein Geschoss durch endlose Tunnel flog. Endlich blieb ich stehen, weil der Scout stehen blieb. So schwebten wir einen Moment, dann stürzen wir in einen vertikalen Tunnel. Ich spürte den plötzlichen Richtungswechsel nicht. Was meine Wahrnehmung betraf, so bewegte ich mich noch immer scheinbar parallel zum Boden.
    Wir wechselten mehrmals die Richtung, stets mit dem gleichen Wahrnehmungs-Effekt auf mich. In mir bildete sich ein Gedanke über meine Unfähigkeit, zu spüren, ob ich mich aufwärts oder abwärts bewegte, als ich auch schon die Stimme des Botschafters hörte: »Ich glaube, es ist angenehmer für dich, wenn du kriechst, statt zu fliegen«, sagte sie. »Du kannst dich auch wie eine Spinne oder eine Fliege bewegen, senkrecht auf oder ab, oder auch mit dem Kopf nach unten.«
    Sofort sank ich nieder. Es war. als sei ich schwerelos gewesen und hatte nun plötzlich Gewicht, das mich hinunterzog. Die Wände des Tunnels fühlte ich nicht, doch der Botschafter hatte recht gehabt, daß es mir angenehmer war. wenn ich kroch. »In dieser Weit brauchst du dich nicht von der Schwerkraft niederdrücken zu lassen«, sagte er. Dies konnte ich natürlich selbst feststellen. »Du brauchst auch nicht zu atmen«, fuhr die Stimme fort. »Und ganz nach Belieben kannst du deinen Gesichtssinn behalten und sehen, wie du in deiner Welt zu sehen gewöhnt bist.« Der Botschafter schien zu überlegen, ob er noch etwas hinzufügen sollte. Er hüstelte wie jemand, der sich räuspert, und sagte: »Der Gesichtssinn wird nie beeinträchtigt. Darum spricht ein Träumer über sein Träumen immer in Form von Bildern, die er sieht.«
    Der Scout schob mich in einen Tunnel zur Rechten. Dieser war etwas dunkler als die anderen. Auf mich wirkte er auf groteske Art gemütlicher als die anderen, freundlicher, oder sogar mir bekannt Mir kam der Gedanke in den Sinn, ich sei diesem Tunnel ähnlich, oder der Tunnel mir.
    »Ihr beide seid euch schon begegnet«, sagte die Stimme des Botschafters.
    »Wie bitte?« sagte ich. Wohl hatte ich verstanden, was er sagte, aber die Aussage war unbegreiflich.
    »Ihr

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