Die Launen des Teufels
Schwund an Arbeitskräften beklagt, und im Frühjahr würden vermutlich die Novizen bei der Aussaat behilflich sein müssen. Es war eine Zeit des Umbruchs! Würde die Seuche dafür sorgen, dass das so sorgfältig bewahrte Gesellschaftsgefüge ins Wanken geriet und die unteren Schichten sich gegen die Herrschenden erhoben?
Prudenz schürzte die Lippen. War dies der Grund für die Plage? Verfolgte Gott einen Plan, den die Menschen in ihrer Beschränktheit nicht zu durchschauen vermochten? Gefährliche Gedanken!, schalt er sich und verfolgte mit hochgezogenen Brauen, wie eine Begine mit einem Stock bewaffnet über den Platz stürmte.
Wild fuchtelnd trieb sie die wütenden Hunde auseinander und blickte auf den von ihnen angerichteten Schaden hinab. Nachdem sie den übel zugerichteten Toten mit einem einfachen Tuch bedeckt hatte, knüpfte sie einen roten Fetzen an den Türknauf des Hauses – als Zeichen dafür, dass der nächste Leichenkarren den Körper aufladen sollte. Ein Schmunzeln erhellte die faltigen Züge des Mönches, als er mit ansah, wie die stämmige Frau den sich bereits wieder nähernden Kötern mit dem Knüppel drohte. Eine seiner ersten Amtshandlungen war es gewesen, den Heiligen Schwestern die Kontrolle über das Hospital zurückzugeben. Da unter der Obhut des Infirmarius auch Menschen mit harmlosen Verletzungen den Tod gefunden hatten, war ihm diese Entscheidung leichtgefallen. Nach wie vor hielt er es für eine wichtige Maßnahme, die Pestkranken von den übrigen Leidenden zu trennen, da somit die Ausbreitung der Seuche wenigstens etwas eingedämmt werden konnte. Die neu ernannte Meisterin hatte ihm wortkarg für seine Entscheidung gedankt und sich augenblicklich daran gemacht, die Räume in zwei Bereiche zu unterteilen. Vielleicht würde diese Maßnahme dafür sorgen, dass das Sterben eingedämmt werden konnte, dachte Prudenz sehnsüchtig. Denn wenngleich er selbst nicht mehr lange zu leben hatte, schmerzte es ihn, wenn Jugend und Schönheit gleichermaßen dahinwelkten.
Er fuhr sich mit dem Handrücken über die Stirn und wandte sich dem wartenden Lesepult zu. Er würde den heutigen Abendgottesdienst mit einem Bittgebet für die Unschuldigen und Leidenden eröffnen – auch wenn er sich nicht im Klaren darüber war, was er sich davon erhoffte.
Epilog
Straßburg, April 1351
»Findest du wirklich?«, fragte Bertram, der mit leuchtenden Augen auf den Wasserspeier zu seinen Füßen blickte, nachdem er diesen voller Stolz von der schützenden Leinwand befreit hatte. Seine Wangen glühten, und er trat aufgeregt von einem Bein auf das andere.
»Er ist unglaublich!«, gab Anabel bewundernd zurück und fuhr mit den Fingerspitzen über die raue Oberfläche des rötlichen Sandsteinkopfes, der herausfordernd die Lippen zu kräuseln schien. Die überzeichnet großen Nasenlöcher durchbrach ein mit Schlangenköpfen verzierter Ring, der sich mit dem keck nach oben ragenden Spitzbart verband. Überaus lebendig wirkende Augen glotzten weit aufgerissen gen Himmel – beinahe als erwarte das dämonenhafte Wesen, dass jeden Augenblick ein Blitz auf es herabfahren könne.
Voller Staunen ging Anabel in die Hocke, um die etwa kniehohe Figur näher in Augenschein zu nehmen. Nachdem Bertram am vergangenen Abend übersprudelnd vor Freude in das kleine Haus nahe der Bauhütte zurückgekehrt war, hatte sie ihm versprochen, ihn am heutigen Sonntag zum Münster zu begleiten, um sich das vollendete Werk anzusehen.
»Ich habe ihn nach dem Vorbild einer Figur angefertigt, die ich in Ulm zurückgelassen habe«, hatte er ihr mit einem wehmütigen Ausdruck anvertraut, der allerdings sofort einem entwaffnenden Lächeln gewichen war, als sein Blick auf Anabels gerundeten Leib gefallen war. »Du musst ihn dir unbedingt ansehen!«
Da sie ihm diese Bitte unmöglich hatte abschlagen können, hatte Anabel ihn am frühen Morgen aus den Federn gejagt, die Kinder bei der Amme abgegeben und war ihm zu der atemberaubenden Cathédrale Notre-Dame gefolgt, der sie ihr täglich Brot verdankten.
Da es der Tag des Herrn war, ruhte die Arbeit auf der Baustelle, und lediglich hie und da blitzte das Eisen eines besessenen Steinmetzen auf, der trotz aller Gebote seiner Arbeit den letzten Schliff verleihen wollte. Auch Bertram musste sichtlich gegen die Versuchung ankämpfen, Klöpfel und Schlageisen erneut zur Hand zu nehmen, um für das bloße Auge kaum sichtbare Winzigkeiten zu verbessern. Da es sich bei dem Wasserspeier um das erste
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