Die Legende der roten Sonne: Nacht über Villjamur (German Edition)
sich in den Hafen geschlichen, zwei Soldaten auf Patrouille niedergestochen und ihre Leichen ins Wasser gezerrt. Ein Fischer hatte vom Flicken seiner Netze aufgesehen und den Vorfall beobachtet, aber nur abgewunken und sich wieder seiner Arbeit zugewandt.
Nun bestiegen die vier den kleinen Kahn, der für sie bereitlag (einen Fischkutter, der kaum Schutz bot), und legten ab. Bald spürten sie den Wind übers Wasser wehen.
»Wir müssen rudern, ehe wir Segel setzen können«, erklärte Denlin.
Es war furchtbar anstrengend, das Boot durchs Wasser zu bewegen.
»Für eine Kaiserin ist das ein gewisser Abstieg«, witzelte Denlin.
»Ich werde meinen Beitrag leisten«, gab Rika zurück. »Behandelt zu werden wie alle anderen, ertrage ich durchaus.«
Direkt neben ihrem Boot schnellte ein Pfeil ins Wasser. Ein Soldat hatte ihn von seinem Beobachtungsposten halblinks vor ihnen abgeschossen.
»Runter«, befahl Randur den Frauen und duckte sich ebenfalls.
Der alte Mann spannte seinen Bogen, zielte und ließ einen Pfeil schwirren.
Er prallte gegen Stein. Denlin ließ einen zweiten Pfeil los, derweil das Boot langsam voranglitt. Der Soldat wagte nicht zurückzuschießen, solange Denlin ihn eindeckte. »Gut, dass ich so viele Pfeile dabeihabe, aber ich will sie nicht alle an diesen Mistkerl verschwenden.«
Ruder zogen durchs Wasser, und mit Unterstützung der Strömung kamen sie rascher voran. Als sie außer Reichweite des Soldaten waren, griff auch Denlin zum Ruder, um das Tempo zu erhöhen.
Sie sprachen nicht miteinander, sondern waren ganz auf ihre Flucht konzentriert.
Zehn Minuten später tauchte einer der beiden Monde auf, und die Geräusche des Aufruhrs in der Stadt waren deutlicher zu hören. Sie hatten es aus dem Höhlenhafen hinaus ins Offene geschafft. Randur zog ein paar Decken aus der Tasche und bot sie den Frauen an. Auch nahm er sich die Zeit, Eir warm einzupacken, und genoss diesen Moment der Nähe.
»Willst du mich nicht auch einpacken?«, fragte Denlin. »Ich bin alt. Da ist man kälteempfindlich.«
»Können wir es uns denn schon gemütlich machen?«, wollte Randur wissen.
»Sobald das Segel gesetzt ist.« Denlin fummelte mit Tauen herum, richtete einen kleinen Mast auf und entrollte ein Segel. Kaum stand es im Wind, straffte es sich, und das Boot nahm mit einem Ruck Fahrt auf. Sie zogen die Ruder ein.
Randur seufzte auf und wandte sich innerlich erschöpft zu Eir um, die sich an ihn schmiegte und den Kopf unter sein Kinn kuschelte. Er hatte keinerlei Bedürfnis zu reden und wollte einfach nur neben ihr einschlafen. Eir war alles, worauf es ihm gegenwärtig ankam. Und da sie in seinen Armen lag, war alles in Ordnung.
»Wohin jetzt?« Denlins Frage holte ihn in die Realität zurück.
Er warf Rika einen Blick zu. Sie sah mit auf die Bootswand gestütztem Arm ins Weite, nickte energisch und sagte dann beinahe zu sich selbst: »Nach Villiren. Denn dort ist Kommandeur Lathraea.«
»Brynd?«, fragte Eir und setzte sich mühsam auf.
»Ja. Mein guter Ruf muss wiederhergestellt werden. Unser beider Ruf vielmehr. Kanzler Urtica hat die gesamte Führungsschicht der Stadt korrumpiert, und jetzt glaubt mir nur noch der Kommandeur – auch wenn das Militär stets denen dient, die an der Spitze des Staates stehen. Ich weiß einfach, dass er mir glauben und anständig handeln wird. Und zuletzt war er nach Villiren unterwegs. Dort werden wir ihn ausfindig machen, und dann kann er uns beraten. Sag doch selbst, Eir: Dürfen wir es zulassen, dass Urtica uns das Reich stiehlt, über das Generationen unserer Vorfahren geherrscht haben? Nein! Ich bin weiterhin die Kaiserin, und deshalb ist es meine Pflicht, mich ihm zu widersetzen. Und das ist erst der Anfang. Wir können das nicht von hier aus tun, da wir zahlenmäßig völlig unterlegen sind. Darum müssen wir nach Villiren.«
Randur hielt es nicht für sonderlich wichtig, wer das Kaiserreich Jamur regierte – es würde sich ohnehin nichts ändern, und der Rat traf alle Entscheidungen. Allerdings hatte er keine Lust, ihr das alles gerade jetzt zu erklären. Stattdessen brummte er: »Und ich hatte gedacht, ich bekomme das Mädchen und Schluss.«
»Und ich kann mir abschminken, die Füße hochzulegen und schmählich zu altern«, meldete sich Denlin zu Wort.
»Denlin, Randur – ich stehe tief in eurer Schuld. Bleibt ihr bitte bei mir?«
»Ich gehe dorthin, wo der Junge hingeht«, sagte Denlin.
Randur drehte sich zu Eir um: »Ich gehe dorthin, wo sie
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