Die Legende der roten Sonne: Nacht über Villjamur (German Edition)
morgige Hinrichtung von Kaiserin Rika und ihrer Schwester vor; danach beginnt eine neue Ära des Reichs. Ich bin als Einziger erwählt, dieses herrliche Zeitalter zu erschaffen – ein Zeitalter größerer politischer Transparenz, in dem es nichts zu verbergen gibt. Wie ließe sich das besser erreichen als durch solche Interviews? Vermittels Flugblättern, die in Bistros, Tavernen und anderswo kursieren, kann ich mit der Bevölkerung in Verbindung treten. Schließlich bin ich ein Mann des Volkes. Es handelt sich also um eine neue Art von Führung, und es ist Zeit, dass die Führung der Bevölkerung ehrlich begegnet – nicht wie zuvor mit einem Wahnsinnigen und einer Mörderin!
Geschichtsschreiber: Das klingt wirklich vielversprechend. Könnt Ihr uns nun ein wenig über die seltsamen Umstände von Rikas Ende erzählen?
Urtica: Es stimmt mich sehr traurig, dass eine Frau ihre Untertanen umbringen lassen wollte. Das war einfach falsch. Natürlich habe ich es herausgefunden und die Sache verfolgt – es war offensichtlich, dass Rika und Eir einen Befehl zur Ermordung der Flüchtlinge unterzeichnet hatten. Auch die Inquisition ist der Sache natürlich nachgegangen. Der Rat hat entschieden, dass eine solche Täuschung nicht hinnehmbar ist. Also habe ich alles getan, um Tausende Menschenleben zu retten, und der Rat hat meine Anstrengungen belohnt.
Geschichtsschreiber: Werdet Ihr die Flüchtlinge in diesen harten Zeiten daher als Friedensangebot in die Stadt lassen?
Urtica: Leider nein, denn sie haben furchtbare Krankheiten, die die Bewohner Villjamurs in Mitleidenschaft ziehen könnten. Auch soll es unter den Flüchtlingen terroristische Stammesgruppierungen geben, die die Stadt unterwandern und unsere demokratischen Gepflogenheiten ins Wanken bringen wollen. So ein Risiko dürfen wir nicht eingehen. Leider mag das auch bedeuten, dass es in der Stadt zu mehr Razzien kommt – in so tückischen Zeiten müssen wir zusammenstehen, um Villjamur vor Stammesradikalismus zu bewahren.
Geschichtsschreiber: Gerüchten zufolge gab es kürzlich am anderen Ende des Reichs einen stümperhaften Militäreinsatz. Könntet Ihr Eure Untertanen über diese Vorfälle aufklären?
Urtica: Ihr stellt wirklich eindringliche Fragen! Ich will Euch gegenüber ehrlich sein: Als mehrere Regimenter unserer tapferen Soldaten das Packeis überquerten, hat eine wilde Horde von Varltung-Kriegern sie mit Relikten der Kultisten angegriffen und vernichtet. Unsere Truppen hatten keine Chance. Daher werde ich allen östlichen Stämmen den Krieg erklären und möglichst bald eine regelrechte Invasionsarmee dorthin in Marsch setzen.
Geschichtsschreiber: Einige Leute sind der Ansicht, Eure Expeditionen zu den Varltung-Inseln dienten nur der Sicherung von Ressourcen. Wie äußert Ihr Euch dazu?
Urtica: Das ist völliger Unsinn.
Geschichtsschreiber: Ist Euer Aufstieg ins höchste Amt des Kaiserreichs je gefährdet gewesen?
Urtica: Nun, bedenkt bitte, dass ich zuvor einen hohen Posten im Rat bekleidete, womöglich den zweitwichtigsten hinter der Kaiserin. Und da ich Tausende Menschenleben habe retten helfen und einige Ratsmitglieder sich mich als Kaiser wünschten, hat mich die Mehrheit gewählt. Wir sind keine Barbaren – natürlich wurde diese Angelegenheit intensiv diskutiert, denn wir leben immerhin in einer Demokratie. Ich wurde auserwählt.
Geschichtsschreiber: Kanzler Urtica (und baldiger Kaiser) – danke für dieses Gespräch!
Urtica: Ich danke auch.
KAPITEL 46
Randur hatte ein paar Taschen über die Schultern geworfen und stapfte mit hochgeschlagenem Kragen und gesenktem Kopf in die Höhlen hinab. Er war vollkommen konzentriert. Seine Rippen schmerzten noch von den Schlägen, die ihm die Soldaten im Balmacara verabreicht hatten. Die Hunde, die ihm um die Füße liefen, waren bis zum Verhungern abgemagert und hatten nicht einmal mehr genug Kraft zu bellen. Er kannte dieses Gefühl gut und empfand selbst beinahe so.
Vor Denlins Haus hielt er an und besah sich die Tür. Wäre er ein religiöser Mensch gewesen, hätte er nun gebetet – so schlecht standen die Dinge. Er konnte kaum glauben, was geschehen war und dass sein Leben sich so schnell geändert hatte. Eben noch hatte sie in seinen Armen getanzt, im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit gestanden und war ringsum von blendendem Reichtum und bester Gesellschaft, von Eleganz und Lächeln umgeben gewesen. Und nun war sie eingesperrt, und ihr drohte die Hinrichtung.
Randur hatte sie nicht einen
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