Die letzte Lagune
Conte Tron? Von den Trons aus San
Stae?»
Tron musste
unwillkürlich lächeln. Seit über zweihundert Jahren
gab es keine Trons in anderen Stadtteilen mehr. Die Uhren am Rand
der nördlichen Lagunen schienen anders zu gehen. «Ich
bin Alvise Tron aus San Stae», sagte Tron. «Aber wir
sind uns nie begegnet.»
Signor Alberti sah
Tron ängstlich an. «Die Pacht ist doch im Januar bezahlt
worden, oder?»
«Die Pacht ist
völlig korrekt bezahlt worden, Signor Alberti. Das ist nicht
der Grund, aus dem wir gekommen sind. Wir sind wegen der Casa dei
Tuffi hier.
Wohnt jemand in dem Haus? Wir haben Rauch über dem Schornstein
gesehen.»
Signor Alberti
schüttelte den Kopf. «Es wohnt niemand dort. Aber es
kommt morgen jemand zu Besuch, der eine Nacht in der Casa dei
Tuffi verbringen wird. Deshalb sind die
beiden Kamine angeheizt worden. Sie haben doch nichts dagegen, wenn
wir die Casa
dei Tuffi ein paar Nächte
vermieten?»
«Absolut
nicht», sagte Tron. «Und dieser Gast will mitten im
strengsten Winter seit Jahren eine Nacht in der Casa dei Tuffi verbringen?»
Signor Alberti nickte.
«Ein Vogelbeobachter. Um festzustellen, ob das Haus für
seine Zwecke geeignet ist. Dann wird er die Casa dei Tuffi im Frühling ein
paar Monate mieten. Er sagte, er sei im letzten Herbst durch die
Gegend gestreift und habe das Haus entdeckt. Ihm gefällt die
einsame Lage.»
«Wann ist er bei
Ihnen gewesen?»
«Gestern am
Vormittag.»
«Wann genau? Um
welche Zeit?»
Alberti dachte nach.
Dann sagte er: «Der Signore war kurz nach halb neun hier. Es
wurde gerade hell. Er hat sich die Casa dei Tuffi angesehen und ist dann
sofort wieder gegangen.»
«Hat er Ihnen
seinen Namen genannt?»
«Sein Name ist
Sistino. Er sprach wie ein Florentiner, der ein paar Brocken
Veneziano aufgeschnappt hat.»
«Was genau ist
mit Signor Sistino verabredet worden?»
«Er kommt morgen
gegen Mittag und verlässt uns am nächsten Tag wieder.
Inzwischen frage ich mich, was es mit der Casa dei Tuffi auf sich hat. Dieser
Signore aus Rom ist ja nicht der Erste, der sich für das Haus
interessiert hat.»
«Tatsächlich? Wer hat
sich denn noch für die Casa dei Tuffi interessiert?»
«Ein
Engländer.»
«Und wann war
das?»
«Vor
ungefähr sechs Wochen. Kurz bevor es so kalt
wurde.»
«Und was wollte
er?»
«Das Haus
ebenfalls mieten. Hier für eine Woche einziehen. Das hat er
dann auch getan.»
«Um was zu
tun?»
«Um seine Ruhe
zu haben.»
«Wie haben Sie
den Mann kennengelernt?»
«Er stand
plötzlich im Hof und bat um ein Glas Wasser.»
«Wie kommt denn
ein Engländer in diese abgelegene Gegend?»
Signor Alberti
lächelte. «Das habe ich ihn auch gefragt. Er hat gesagt,
er wäre mit einem Sandalo in der nördlichen Lagune
unterwegs gewesen und an Land gekommen, um sich ein wenig die
Füße zu vertreten.»
«Woher wissen
Sie, dass es ein Engländer war?»
«Weil er es mir
gesagt hat. Er sprach aber fließend Italienisch. Er hat sogar
mein Veneziano verstanden.»
«Wie alt war der
Mann?»
«Vielleicht so
zwischen dreißig und
fünfunddreißig.»
«War er blond
und hoch aufgeschossen?»
Signor Alberti nickte.
«Er war ziemlich groß.»
«Und hatte eine
kleine Narbe links auf der Oberlippe?»
«Ja, richtig.
Kennen Sie ihn?»
«Ich glaube,
ja», sagte Tron. «Hat er Ihnen seinen Namen
genannt?»
«Er stellte sich
als Lime vor.»
«Und Signor Lime
hat dann zwei Wochen in der Casa dei Tuffi gewohnt?»
Signor Alberti nickte.
«Er hat vormittags mit seinem Sandalo Ausflüge in die
Lagune gemacht und nachmittags gelesen und geschrieben. Meine Frau
hat einmal am Tag für ihn gekocht, aber er hat drüben in
der
Casa dei
Tuffi gegessen. Er sagte, er wäre
Schriftsteller.»
Tron nickte.
«Ist Ihnen irgendetwas an Mr. Lime aufgefallen? Hat er sich
ungewöhnlich verhalten?»
«Nein,
eigentlich nicht, Conte Tron. Nur dass er mich immer wieder nach
der Casa dei
Tuffi gefragt hat, nachdem ich ihm
gesagt hatte, dass der Pachthof und die dazugehörigen
Gebäude im Besitz der Trons sind.»
«Moment mal,
Signor Alberti. Wann haben Sie Mr. Lime gesagt, dass dieses
Gelände hier den Trons gehört?»
«Bei unserer
ersten Begegnung. Als er sich hier die Füße vertreten
wollte.»
«Und daraufhin
wollte er die Casa dei Tuffi mieten?»
Signor Alberti nickte.
«Ja, er war ganz aufgeregt. Offenbar kannte er Ihre Familie.
Und dann wollte er alles sehr genau wissen.»
«Was wollte er
genau wissen?»
«Wann die Casa dei
Tuffi gebaut wurde und seit wann
Weitere Kostenlose Bücher