Die letzte Lagune
der
kämpfenden Truppe gesehen.
Werde mich morgen
mit dem ersten Tageslicht an Bord begeben. Meine Order ist von
Enrico Dandolo persönlich unterschrieben. Papas Einfluss auf
die Geschehnisse scheint größer, als ich dachte. Aber
als ich ihn fragte, was genau wir vorhätten, war er wieder
verschlossen wie eine Auster. Schönes, festliches Mittagessen,
habe zur Freude der Familie meinen Wein ostentativ mit Wasser
vermischt. Ich glaube fast, Papa ist ein wenig stolz auf mich.
Brüderchen Mario so sauer, dass er fast grün im Gesicht
war.
Bin aufgeregt und
ein wenig konfus. Gut, dass ich meinen Kram schon gepackt habe.
Werde mich heute Abend nur kurz von Annunziata verabschieden und
auf keinen Fall über Nacht bleiben. Papa hat mir einen kleinen
Beutel mit Goldmünzen überreicht, und ein Ring lässt
sich immer leicht in Bargeld verwandeln.
7
Der Mann auf der
Schwelle war einer der beiden äthiopischen Kammerdiener der
Principessa, die Tron immer miteinander verwechselte. Der Diener
schwenkte einen Umschlag und sagte etwas in seinem speziellen
Italienisch, das nur die Principessa verstand.
«Ein Bote hat
das eben für dich abgegeben», übersetzte die
Principessa.
Tron erbrach das
Siegel mit dem Wappen der Trons und überflog den Bogen.
Zunächst meinte er, sich verlesen zu haben. «Bei uns ist
eingebrochen worden», sagte Tron.
«Bei euch?» Das in die Länge
gezogene euch sollte bedeuten, dass im Palazzo
Tron doch sowieso nicht viel zu holen war. «Hat man den Dieb
erwischt?»
Tron schüttelte
den Kopf. «Die Contessa hat den Einbruch gerade erst
entdeckt. Der Dieb ist über eine Leiter eingestiegen. In mein
Zimmer im unteren Mezzaningeschoss.»
«Und was hat er
mitgenommen?»
«Nur ein Glas
aus der Vitrine im Ballsaal. Ispettore Bossi ist wahrscheinlich
schon da. Die Contessa wird ihn ebenfalls benachrichtigt
haben.»
«Wie kommst du
hin?»
Eine berechtigte
Frage. Normalerweise hätte Tron eine der beiden Gondeln der
Principessa genommen, aber die befanden sich aufgebockt im andron des Palazzo
Balbi-Valier.
«Ich gehe zu
Fuß», sagte Tron. «Der Canalazzo scheint gefegt
und gestreut zu sein.»
*
Draußen schien
immer noch die Sonne, und Tron stellte fest, dass es ihm
Vergnügen bereitete, den Canalazzo wie eine ganz normale
Straße zu benutzen. Als er eine halbe Stunde später San
Stae passiert hatte, kam der Palazzo Tron in Sicht -seltsam
anzusehen auf seinem soliden Sockel aus Eis und der Haube aus
glitzerndem Schnee. Der Familiensitz hatte bereits zur Zeit des
vierten Kreuzzugs hier gestanden, und die Trons hatten schon damals
Glas produziert.
Wie lange war es her,
dass sich die Contessa Tron trotz ihres fortgeschrittenen Alters
wieder im Glasgeschäft: engagiert hatte? Drei Jahre? Vier
Jahre? Jedenfalls florierte ihr Betrieb oder warf zumindest genug
ab, um das Dach neu decken zu lassen und den Putz zu erneuern.
Allerdings hatte der bescheidene Wohlstand aus der Glasproduktion
noch keine Spuren im Inneren des Palazzo hinterlassen. Alle
Anläufe, das Treppenhaus, die Salons und den Ballsaal zu
renovieren, waren an den ganz speziellen Vorstellungen der Contessa
gescheitert. Und so präsentierte sich der Palazzo immer noch
wie in Trons Kindheit mit all den Schäden, die die
Jahrhunderte ihm zugefügt hatten: den ausgetretenen Treppen,
den zerbröckelnden Stuckaturen, den zerschlissenen
Polstermöbeln und den blinden Spiegeln in der sala.
Tron wurde den
Verdacht nie los, dass die Contessa - wie er selber - im Grunde
eine Renovierung gar nicht wollte. Der Palazzo der Principessa war
zwar äußerst komfortabel und im Winter erfreulich warm,
aber letzten Endes wirkte er ein wenig - wie sagte man? - nouveau
riche. Wobei der Contessa alle diejenigen
als nouveau
riche galten, die später als 1292
zu ihrem Geld gekommen waren. Damals hatte das venezianische
Patriziat entschieden, das Goldene Buch, das libro d’oro, endgültig zu
schließen und keine neuen Mitglieder mehr
aufzunehmen.
Selbstverständlich war die
Heizung im Palazzo noch auf dem Stand des letzten Jahrhunderts -
ein paar schlecht ziehende Öfen, Kamine, die eher der
Dekoration dienten, und jede Menge
scaldini - kleine, tragbare
Kohleöfen, an denen man sich die Füße wärmen
konnte. Als Tron das Treppenhaus betrat, hatte er nicht den
Eindruck, dass es innerhalb des Gebäudes wärmer war als
draußen.
Bossi erwartete ihn
bereits auf dem ersten Treppenabsatz. «Er ist durch Ihr
Zimmer gekommen, Commissario», sagte der Ispettore,
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