Die letzten Tage von Pompeji
eine viel frühere, uns weniger vertraute Epoche darzustellen.
Für die Menschen und Gebräuche aus der Feudalzeit fühlen wir eine natürliche Sympathie; diese Menschen waren unsere Vorfahren – von diesen Gebräuchen überkamen wir die unsrigen – der religiöse Glaube unserer ritterlichen Ahnen ist noch heute der unsrige – ihre Gräber heiligen noch jetzt unsere Kirchen – die Ruinen ihrer Burgen schauen noch heutzutage zürnend auf unsere Thäler herab. In ihren Kämpfen für Freiheit und Gerechtigkeit finden wir den Keim unserer gegenwärtigen Institutionen und in den Elementen ihres gesellschaftlichen Zustandes erblicken wir den Ursprung unseres eigenen.
An die klassischen Zeiten hingegen knüpfte sich für uns keine häusliche oder vertraute Beziehung. Der Glaube jener entschwundenen Religionen, die Gebräuche jener vergangenen Civilisation bieten wenig dar, was für unsere nordische Einbildungskraft heilig oder anziehend wäre; auch werden sie uns durch die scholastischen Pedanterien, die uns zuerst mit ihrem Wesen bekannt machten, noch mehr entkleidet und stehen mit der Erinnerung an Studien in Verbindung, die eher als Arbeit auferlegt, denn als Sache des Vergnügens betrieben wurden.
Gleichwohl übrigens schien mir die Aufgabe trotz ihrer Schwierigkeiten des Versuches werth; und in dem von mir auserwählten Zeitpunkte und Schauplatze dürfte sicherlich Vieles gefunden werden, was die Neugierde des Lesers erweckt, und sein Interesse an die Schilderungen des Verfassers fesselt. Es war das erste Jahrhundert unserer Religion – die civilisirteste Periode Roms – die Geschichte spielt an Orten, deren Ueherbleibsel wir noch heute sehen – und die Katastrophe ist eine der fürchterlichsten, welche die Tragödien der alten Geschichte unserem Auge darbieten.
Von den mir reichlich vorliegenden Materialien war ich bemüht, diejenigen auszuwählen, die für einen Leser der neueren Zeit am anziehendsten sein dürften; die ihm am wenigsten fremden Gebräuche und religiösen Meinungen – Schatten, die – wieder belebt, – ihm Bilder darstellten, welche, obschon die Repräsentanten der Vergangenheit, dennoch auch den Betrachtungen der Gegenwart am wenigsten uninteressant erschienen. Es erforderte fürwahr eine größere Selbstbeherrschung, als sich der Leser auf den ersten Blick denken mag, um so Vieles von der Hand zu weisen, was an und für sich höchst einladend war, was aber, obschon es einzelnen Theilen des Werkes Anziehungskraftt verliehen hätte, dennoch die Symmetrie des Ganzen beeinträchtigt haben würde. So spielt z.B. meine Geschichte unter der kurzen Regierung des Titus, als Rom auf seiner stolzesten und riesenhaftesten Höhe ungezügelten Luxus und unbeschränkter Macht stand. Es war darum eine höchst einladende Versuchung für den Verfasser, die Personen seiner Geschichte im Verlaufe der Ereignisse von Pompeji nach Rom zu führen. Was könnte solchen Stoff zur Schilderung, oder ein solches Feld für die Eitelkeit der Darstellung bieten, als jene prachtvolle Weltstadt, deren Größe der Einbildungskraft eine so herrliche Begeisterung – der Forschung eine so vortheilhafte und feierliche Würde verleihen müßte? Da ich mich jedoch bei der Wahl von Zeit und Schauplatz für den Untergang von Pompeji entschieden hatte, so bedurfte es nur einer geringen Einsicht in die höheren Prinzipien der Kunst, um zu begreifen, daß die Erzählung sich durchaus auf Pompeji selbst beschränken müsse.
In Gegensatz zu dem mächtigen Pompe Roms gebracht, wären der Luxus und Schimmer der lebhaften campanischen Stadt zur Unbedeutendheit herabgesunken. Ihr entsetzliches Geschick würde nur als ein kleiner und vereinzelter Schiffbruch auf den ungeheuern Meeren des Kaiserreiches erschienen sein, und die zu Erhöhung des Interesses meiner Schilderung herbeigerufene Hülfsmacht würde lediglich die Sache, zu deren Unterstützung sie aufgeboten wurde, zernichtet und überwältigt haben. Ich sah mich deshalb genöthigt, auf einen an und für sich so verlockenden Ausflug zu verzichten und unter strenger Beschränkung meiner Geschichte auf Pompeji Andern die Ehre zu überlassen, die hohle, aber majestätische Civilisation Roms zu schildern.
Die Stadt, deren Geschick mir eine so erhabene und fürchterliche Katastrophe darbot, gab mir auch auf den ersten Blick auf ihre Ueberbleibsel unschwer diejenigen Charaktere an die Hand, die dem Stoff und Schauplatz am besten anpaßten. Die halbgriechische Colonie des Herkules, die
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