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Die linkshändige Frau - Erzählung

Die linkshändige Frau - Erzählung

Titel: Die linkshändige Frau - Erzählung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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Zeit gestoppt, mit einer echten Stoppuhr. Und am Anfang des Schuljahrs waren wir noch bei zehn Minuten! Der Direktor sagte, bis zum Schuljahrsende könnten wir leicht den Rekord auf drei Minuten drücken. Wir wären auch heute schon so schnell gewesen, wenn nicht der dicke Jürgen sich mit den Mantelknöpfen so verheddert hätte. Und dann hat er den ganzen Vormittag geweint. In der Pause hat er sich zwischen die Mäntel versteckt und auch noch in die Hose gemacht. Weißt du, wie wir die drei Minuten schaffen werden? Wir fangen gleich im Treppenhaus zu laufen an und ziehen uns schon im Laufen alles aus!«
    Die Frau sagte: »Deswegen also willst du trotz der Kälte immer den dünneren Mantel anziehen – weil der leichter zum Aufknöpfen ist!« Sie lachte. Das Kind: »Lach nicht so. Du lachst wie der dicke Jürgen: der strengt sich immer an zu lachen, damit er lacht. Nie freust du dich wirklich. Nur einmal hast du dich gefreut über mich – das war, als ich beim Schwimmen plötzlich ohne Reifen auf dich zugeschwommen bin. Da hast du richtig gejauchzt, als du mich auffingst.«
    Die Frau: »Ich erinnere mich gar nicht.«
    Das Kind: »Aber ich erinnere mich.« Es rief hämisch: »Ich erinnere mich! Ich erinnere mich!« In der Nacht saß die Frau am Fenster und las, ein dickes Wörterbuch neben sich, bei zugezogenen Vorhängen. Sie legte das Buch weg, zog die Vorhänge wieder auf; ein Auto bog gerade in einen Garagenhof, und auf dem Gehsteig führte eine ältere Dame ihren Hund aus, die sofort, als ob nichts ihr entginge, zum Fenster heraufschaute und winkte.
    Die Frau schob einen Einkaufswagen durch einen der sehr engen Durchgänge des Supermarktes, wo man in eine Seitengasse ausweichen mußte, wenn einem jemand entgegenkam. Es klirrte von leeren Einkaufswagen, die von einem Angestellten zusammengeschoben wurden; dazu rasselten die Kassen, und an der Pfandrückgabestelle wurde die Handglocke geläutet, während die Supermarktmusik schallte, unterbrochen immer wieder von den Angeboten des Tages, der Woche, des Monats. Die Frau stand eine Zeitlang regungslos da, schaute immer ruhiger um sich; ihre Augen begannen zu leuchten.
    In einer stilleren Gasse wurde sie von Franziska angesprochen, die einen Caddie hinter sich herzog. Franziska sagte: »Gerade habe ich in der Brotabteilung gesehen, wie man einer hiesigen Hausfrau das Brot in Papier wickelte, dem Jugoslawendanach es aber nur so in die Hand drückte … Ich gehe sonst immer in meinen Krämerladen an der Ecke, auch wenn die Salatköpfe dort oft halb verwelkt und, wie jetzt, halb vom Frost verbrannt sind. Aber den ganzen Monat lang kann man sich eine solche Menschenfreundlichkeit nicht leisten.«
    Beide wurden angestoßen, und die Frau sagte: »Ich fühle mich manchmal wohl hier.«
    Franziska zeigte auf einen Sehschlitz hinter einer Styroporwand, wo ein Mann in einem weißen Kittel die Käufer beobachtete. Im Lärm mußte sie schreien: »Und von diesem lebenden Toten fühlst du dich wahrscheinlich auch noch behütet?«
    Die Frau: »Er paßt in den Supermarkt. Und der Supermarkt paßt zu mir. Heute jedenfalls.«
    Sie reihten sich ein vor einer Kasse, wo Franziska die Frau plötzlich leicht am Ellenbogen streichelte. Sie sagte dann ein wenig verlegen: »Sicher haben wir uns wieder an der falschen Kasse angestellt. Links und rechts werden schon alle drangekommen sein, während wir hier noch warten. Mir geht es jedenfalls immer so.«
    Vor dem Supermarkt waren ein paar in der Kälte zitternde Hunde angepflockt. Franziska hängte sich bei der Frau ein: »Komm bitte morgen abend zu unserer Gruppe. Die andern freuen sich auf dich. Es gibt da im Moment das Gefühl, daß im Kopf das meiste geklärt ist und daß das Lebentrotzdem woanders ist. Wir brauchen jemanden, der ein bißchen Pause macht vom Lauf der Welt; der, kurz gesagt, ein bißchen spinnt. Du weißt schon, wie ich das meine.«
    Die Frau: »Stefan bleibt in letzter Zeit abends nicht gern allein.«
    Franziska: »Die Ursachen dafür kannst du in jedem Psychologie-Grundriß nachlesen. Auch Bruno hält es allein nicht aus. Er fällt dabei sofort in die alten Kinderunarten zurück, sagt er. Hast du übrigens gestern abend im Fernsehen den Dokumentarbericht über einsame Menschen gesehen?« Die Frau: »Ich erinnere mich nur an die Stelle, wo der Interviewer zu einem sagte: ›Erzählen Sie doch eine Geschichte von der Einsamkeit!‹, und wie der andre dann nur stumm dasaß.«
    Franziska sagte nach einer Pause: »Versuch

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