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Die linkshändige Frau - Erzählung

Die linkshändige Frau - Erzählung

Titel: Die linkshändige Frau - Erzählung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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es läutete, ging sie schnell weg in die Küche. Bruno schloß auf, kam herein, um sich blickend wie ein Eindringling. Er sah die Koffer stehen und rief die Frau; zeigte auf das Gepäck und grinste. »Hast du auch schon mein Foto vom Nachttisch entfernt?« Sie gaben einander die Hand.
    Er fragte sie nach Stefan; sie zeigte auf die große Fensterseite, wo die zwei Kinder stumme Fratzen schnitten.
    Bruno sagte nach einer Weile: »Seltsam, was uns heute morgen passiert ist, nicht wahr? Und dabei waren wir doch gar nicht betrunken. Jetzt komme ich mir ein bißchen lächerlich vor; du dir nicht?«
    Die Frau: »Ja, doch. Nein, eigentlich nicht.«
    Bruno nahm die Koffer: »Gut, daß morgen wieder das Büro anfängt. – Du hast ja noch nie allein gelebt.«
    Die Frau: »Du kommst also von Franziska?«
    Und dann sagte sie: »Willst du dich nicht setzen?« Beim Hinausgehen sagte Bruno kopfschüttelnd: »Deine Sorglosigkeit … Erinnerst du dich überhauptnoch, daß es zwischen uns einmal eine Innigkeit gab, jenseits davon, daß wir Mann und Frau waren, und doch bestimmt davon, daß wir es waren?« Die Frau schloß hinter ihm die Tür und blieb stehen. Sie hörte das Geräusch des abfahrenden Autos; ging zur Garderobe neben der Tür und steckte den Kopf zwischen die dort hängenden Kleidungsstücke.
    In der Dämmerung saß die Frau, ohne Licht zu machen, vor dem Fernseher, der einen Zusatzkanal hatte, zur Beobachtung des Kinderspielplatzes der Siedlung. Sie sah das stumme, schwarzweiße Bild an, in dem gerade ihr Sohn auf einem Baumstamm balancierte, während sein dicker Freund immer wieder herunterfiel; außer den beiden war niemand auf dem öden Platz. Die Augen der Frau schimmerten von Tränen.
    Am Abend aßen die Frau und das Kind allein im Wohnraum. Sie war schon fertig und schaute dem Kind zu, das schlürfte und schmatzte. Es war sonst sehr still; nur ab und zu kam das Brummen des Kühlschranks aus der Küche, die mit dem Raum durch eine Durchreiche verbunden war. Zu Füßen der Frau stand ein Telefon.
    Sie fragte Stefan, ob sie ihn zu Bett bringen solle. Das Kind antwortete: »Ich gehe doch immer allein ins Bett.«
    Die Frau: »Laß mich dich wenigstens begleiten.«Im Kinderzimmer zog sie dem erstaunten Jungen den Pyjama an, wollte ihn dann emporheben und ins Bett legen. Er wehrte sich; legte sich selber hin, worauf sie ihn bis zum Hals zudeckte. Er hatte ein Buch in der Hand und zeigte auf ein Foto darin, das ein Hochgebirge im klaren Licht darstellte; Dohlen flogen davor. Er las laut die Legende unter dem Bild: »›Spätherbst vor der Kulisse der Berge: Auch um diese Zeit noch locken, wenn das Wetter mitmacht, die Gipfel. ‹« Er fragte sie, was das heiße, und sie übersetzte ihm die Legende: daß man auch noch im Spätherbst bei schönem Wetter auf die Berge steigen könne. Sie beugte sich zu ihm, und er sagte: »Du riechst nach Zwiebeln.«
    Allein, hockte die Frau in der Küche vor dem offenen Fach, in dem der Abfalleimer stand, den nicht leergegessenen Teller des Kindes in der Hand, den Fuß schon auf den Tritt des Eimers gestellt, so daß der Deckel aufstand. Sie nahm, so im Hocken, mit der Gabel noch ein paar Bissen in den Mund; blieb kauend hocken, schob den Rest in den Abfall. Sie verharrte eine Zeitlang bewegungslos in dieser Haltung.
    In der Nacht, auf dem Rücken im Bett liegend, öffnete die Frau einmal ganz weit die Augen. Völlige Geräuschlosigkeit; sie lief zum Fenster und machte es auf; aber die Stille wich nur einem leisen Geraune. Sie ging ins Zimmer des Kindes, ihreDecke im Arm, und legte sich neben dessen Bett auf den Boden.
    An einem folgenden Morgen saß die Frau im Wohnraum tippend vor einer Schreibmaschine. Sie las sich das Geschriebene halblaut vor: »Nun kann ich endlich auf Ihre wiederholten Angebote, aus dem Französischen zu übersetzen, zurückkommen. Nennen Sie mir Ihre Bedingungen. Im Moment würde ich mich lieber mit Sachliteratur beschäftigen. Ich erinnere mich oft an die Arbeit in Ihrem Verlag (für sich fügte sie hinzu: ›Wenn ich auch vom Maschinenschreiben regelmäßig eine Sehnenscheidenentzündung im Handgelenk bekam‹) und erwarte Ihren Anruf.«
    Neben dem Telefonhäuschen am Rand der Siedlung war ein Postkasten, wo sie den Brief einwarf. Als sie sich abwendete, trat Bruno auf sie zu. Er faßte sie grob am Arm; dann schaute er um sich, ob sie beobachtet würden: weiter oben auf der Straße hatte sich ein älteres Waldgängerehepaar mit Rucksack, Bergstock und

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