Die Löwin von Aquitanien
konnte sein Vater ihn nicht in Ruhe lassen, warum mußte er hierherkommen und versuchen, den ach so vertrauten alten Tanz wiederzubeleben, statt ihre Beziehung auf dem sicheren, unpersönlichen Boden von Vasall und Lehnsherr zu lassen? Beide schwiegen sie eine Weile.
»Deine kleine Tochter scheint rotes Haar zu haben«, sagte der Herzog plötzlich, »wie du und ich. Und sie wird überleben. Glaub mir, ich weiß es.«
Guillaume erkannte Schmerz und Erinnerung in den ausgeprägten Zügen seines Vaters und dachte an die zahlreichen Kinder, die Felipa geboren und die so bald nach der Geburt wieder gestorben waren.
Nur Raymond hatte überlebt, und Felipa hatte sich nach jeder Geburt mehr in ihren Glauben, in Bußübungen und Fasten zurückgezogen.
Er fragte sich mit einem Mal, wie das Leben an der Seite der frommen, asketischen Felipa für seinen lebenslustigen Vater wohl gewesen sein mochte, und haßte sich schon im nächsten Atemzug selbst für den Gedanken. Es war Felipa, der Unrecht geschehen und die gedemütigt worden war, nicht der Herzog!
Hartnäckig schwieg er. Der Herzog zog eine Grimasse. »Manchmal bin ich mir nicht sicher, wer von uns beiden den größeren Dickkopf hat, Guillaume. Hölle, weißt du nicht, daß ich dich und deine ewigen Moralpredigten vermißt habe?«
Guillaume wandte sich ab. Seine Hände verkrampften.
»Hör zu«, sagte sein Vater ernst. »Ich bin Herr über das mächtigste und wohlhabendste Reich in Europa, und der arme Louis, der in seiner Ile-de-France sitzt und sich König schimpft, zittert vor Angst, ich könnte ihm sein lächerliches Königreich abjagen wollen. Gewisse Dinge kann ich mir einfach nicht bieten lassen, auch von dir nicht, und schon gar nicht in der Öffentlichkeit.«
»Die Öffentlichkeit war Eure Entscheidung«, murmelte Guillaume tonlos.
»Ja, ich weiß. Es war ein Fehler. Was willst du, Junge, selbst unser Herr Jesus traf Fehlentscheidungen - hätte er sonst Judas zu einem seiner Apostel gemacht?«
Guillaume war vollkommen bewegungslos. Er wagte kaum zu atmen, denn er fürchtete, daß er bei der kleinsten Bewegung die Beherrschung über sich verlöre. Mit einem Mal packte ihn sein Vater bei den Schultern.
»Verdammt, Guillaume, was willst du hören? Daß es mir leid tut, dich vor ihnen allen gedemütigt und Aenor beleidigt zu haben? Das tut es. Daß es nicht wieder geschehen wird? Das glaube ich schon.«
Seine Mundwinkel hoben sich. »Du hast nun einmal ein unheiliges Talent dafür, mich in Wut zu bringen, mein Sohn.«
Guillaume schluckte. Er zitterte. Dann tat er etwas, das er sich später nie verzieh. Jäh und heftig erwiderte er die Umarmung seines Vaters. Mehrere Sekunden lang hielten sie einander fest, dann machte sich Guillaume mit einem Ruck los, stieß seinen Vater zurück und stürzte hinaus.
Bordeaux war gewiß nicht nur eine der bedeutendsten, sondern auch eine der schönsten Städte Aquitaniens. Am Ufer der Garonne hob sich die Silhouette der Stadt mit ihren neun Kirchen und der Kathedrale dunkel gegen den goldglühenden südlichen Himmel ab. Die Römer hatten gut befestigte Straßen und eine starke Stadtmauer hinterlassen, und sogar die Säulen eines alten Palasts ragten noch sichtbar empor. Seit ewigen Zeiten war Bordeaux dank seiner günstigen Lage ein Handelsstützpunkt, und Guillaumes Entscheidung, diese Stadt als Sitz für sich und seinen kleinen Hofstaat zu wählen, wurde von seinem Vater gutgeheißen.
Zweimal im Jahr, zu Ostern und zu Weihnachten, reiste Guillaume nach Poitiers. Er und sein Vater verhielten sich bei ihren seltenen Begegnungen kühl und höflich, und Guillaume war entschlossen, diesen Zustand beizubehalten. Er hatte seine Kindheit in dem ständigen Auf und Ab der Zornesausbrüche und Gunstbezeugungen seines Vaters verbracht und wünschte sich nunmehr nur Ruhe und Frieden.
In Bordeaux bewohnte er in der Regel das Palais l’Ombrière, das innerhalb der Stadtmauern zwischen zwei schmalen Flußarmen lag, gelegentlich auch das etwas weiter entfernte Schloß Belin. Der Stadtrat von Bordeaux fühlte sich durch die ständige Anwesenheit des zukünftigen Herzogs sehr geehrt, und der niedere Adel nutzte die Gelegenheit, sich über das Palais l’Ombrière den Weg nach Poitiers zu bahnen. Guillaume schloß auch Freundschaft mit dem Erzbischof der Stadt, Geoffrey du Loroux, der einer der wenigen Kleriker war, die dem Haus Aquitanien nicht feindlich gegenüberstanden. Seine Stiefmutter Felipa starb in ihrem Kloster, und Aenor
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